Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
Frances zufolge hatte sie anscheinend nie viel mit der Familie zu tun haben wollen. Man sah sie nur bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie die Bälle im Hause Windsor besuchte. Irving hingegen kam der Familie immer näher, während sich Rebecca von ihr entfernte. Wie Frances berichtete, erschien er stets zu früh, wenn er rechtliche oder geschäftliche Angelegenheiten mit ihrem Vater zu besprechen hatte, und hielt sich auch nach den Treffen noch eine Weile im Hause auf – so, als würde er auf jemanden warten.« Walter holte tief Luft. »Ich habe mich immer gefragt, ob es Marion war, auf die er gewartet hat – ob sie der Grund dafür war, dass er immer in der Nähe blieb.«
Michele schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. »Hat mein … mein Vater Rebecca je wieder gesehen?«
»Nicht, dass jemand davon wüsste. Rebecca war nur selten in der Gegend, und zu den Gelegenheiten, bei denen sie nach Windsor Mansion zurückkehrte, muss sich Irving ferngehalten haben. Laut Frances war er zwar immer zu den Feiertagen und Partys im Haus eingeladen, ist aber nicht ein Mal zu einem solchen Anlass erschienen.«
»Ich muss ihn finden«, verkündete Michele. »Mein Gefühl sagt mir, dass … dass er weiß, was zu tun ist.«
Von dieser Idee entsetzt, schnappte Dorothy hörbar nach Luft. »Aber wenn du ihn findest, könntest du Rebecca direkt in die Falle gehen. Sie lebt in seiner Zeit!«
»Keine Sorge. Ich werde nichts unternehmen, bevor ich nicht mehr weiß und einen … einen Plan gemacht habe.«
Walter drückte ihre Hand. »Wir werden dir helfen. Wir stehen das gemeinsam durch.«
Michele atmete tief durch. Als sie die Besorgnis auf den Gesichtern ihrer Großeltern sah, fragte sie sich, ob sie sich einer Illusion hingab, wenn sie glaubte, es in diesem Jahrhunderte umfassenden Krieg mit einem Feind aufnehmen zu können, von dessen Existenz sie bis heute nichts geahnt hatte.
Aber andererseits … blieb ihr gar keine Wahl.
Der Nilschlüssel ist das Hilfsmittel, mit dem wir durch die Zeit reisen können. Diese Schlüssel stammen aus dem Alten Ägypten, vom Ursprungsort des Zeitreisens selbst. Unseres Wissens existieren fünfhundert solcher Schlüssel: einer in jeder Familie der Zeitgesellschaft. Alle haben sie die Form des Anch, aber jeder Schlüssel unterscheidet sich von den anderen in Größe und Gestaltung und trägt ein eigenes, einzigartiges Merkmal.
Ein Hüter der Zeit gibt diesen Schlüssel innerhalb der Familie weiter, bevor er oder sie diese Erde verlässt. Zeitreisen ist demnach eine ererbte Fähigkeit. Die Kraft dazu liegt den Familien im Blut, sie besitzen das Zeitreise-Gen. Aktiviert wird dieses Gen, sobald man den Schlüssel empfängt.
Die große Mehrheit unter uns kann nicht ohne diesen Schlüssel durch die Zeit reisen. Dazu sind nur wenige auserwählte Hüter der Zeit in der Lage.
Ich bin einer von ihnen.
– MILLICENT AUGUST,
DAS HANDBUCH DER ZEITGESELLSCHAFT
3
A ls es Schlafenszeit war, ließ Michele das Licht ihrer Schreibtischlampe brennen, schloss die Zimmertür ab und schob außerdem noch einen Sessel davor. Ihr Verstand sagte ihr, dass keine dieser Vorsichtsmaßnahmen einen Zeitreisenden davon abhalten würde, in ihr Zimmer zu gelangen, trotzdem fühlte sie sich dadurch etwas sicherer. Sie holte das Zeitungsfoto von Philip auf dem Halloween-Ball von 1910 hervor und legte sich damit ins Bett, wo sie das Bild anstarrte, bis sie schließlich einschlief.
Zweiter Tag
»My grandfather’s clock
Was too large for the shelf,
So it stood ninety years on the floor …«
Michele folgte der leise singenden Mädchenstimme. Die Melodie klang wie ein Kinderlied, doch das Mädchen sang es in einem unheilvollen Ton. Eine eigenartige Vorahnung befiel Michele, während sie über den Rasen lief.
Ich bin im Central Park, stellte sie fest, als sie am sich kräuselnden Wasser des Sees vorüberging und das frische Grün links und rechts davon sah. Aber wie bin ich hierhergekommen? Wo sind die ganzen Leute?
Ein Tropfen fiel auf ihre Trainingshose, und als Michele an sich hinabsah, bemerkte sie, dass sie ihren Schlafanzug und weiche Pantoffeln statt Schuhen trug. Was um alles in der Welt …?
Es hatte angefangen zu nieseln, und sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie zu einem alten Karussell kam. Das knarrende Gefährt drehte sich wie in Zeitlupe, während Regentropfen auf die bunt geschnitzten Pferde fielen. Und dann sah Michele sie: zwei Kinder von etwa acht oder neun Jahren, die auf dem Karussell durch
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