Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
Notenblätter zu geben, dachte Michele. Aber irgendetwas hielt sie zu rück. Sie spürte eine beunruhigende Distanz zwischen ihnen, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt, und sie fragte sich, ob der Hinweis nicht besser funktionieren würde, wenn sie sich erst einmal richtig unterhalten hatten.
»Was hast du gespielt?«, fragt sie. »Es gefällt mir sehr.«
»Wirklich?« Philip wirkte erfreut. »Ich habe es selbst komponiert.«
Beinahe hätte Michele hörbar nach Luft geschnappt. Philip hat recht gehabt. Es war nicht denkbar, dass irgendeine Version von ihm, egal in welcher Zeit, kein Musiker war. Wenn sie den leisesten Zweifel gehabt hatte, dass die beiden ein und dieselbe Person waren, war sie jetzt mehr denn je von einer Verbindung zwischen ihnen überzeugt.
»Welche Art von Musik schreibst du?« Tapfer bemühte sich Michele, ihre Stimme ruhig und gleichmäßig klingen zu lassen.
»Alles. Klassik und Jazz spiele ich am liebsten, aber ich schreibe auch viel Pop und Rock.«
»Trittst du mit deinen eigenen Sachen auf?«
Philip lachte. »Nee, ich bin nicht unbedingt der beste Sänger. Ich schreibe für andere Künstler.«
Michele betrachtete ihn fasziniert. Seine Ungezwungenheit verriet ihr, dass dieser neue Philip im Hinblick auf seine Musik selbstsicherer war als der Achtzehnjährige, den sie 1910 gekannt hatte. Es war, als hätte ihm das 21. Jahrhundert neue Kraft verliehen.
»Für wen hast du dieses Lied geschrieben?«
»Ashley Nichol«, erwiderte Philip.
Der Name der zwanzigjährigen Grammy-Gewinnerin ließ Micheles Augenbrauen in die Höhe schnellen.
»Ich habe ihr schon zwei andere Songs verkauft, aber bisher hat sie nichts daraus gemacht.«
»Dann sind aller guten Dinge bestimmt drei.« Michele lächelte. »Das ist wirklich toll, einer so bekannten Künstlerin Songs zu verkaufen, obwohl du selbst noch zur Highschool gehst. Wie hast du das geschafft?«
»Tja, ich habe schon immer komponiert und gespielt, und eines Abends, vor zwei Jahren, hatte ich in Joe’s Pub einen Auftritt mit einem befreundeten Singer-Songwriter. Das war natürlich bevor mir klar wurde, dass ich nicht zum Sänger geboren bin.« Er grinste. »Aber zufällig war an jenem Abend eine Frau von einem Musikverlag im Publikum, ihr gefielen meine Stücke, und wir kamen ins Geschäft. Seitdem nehme ich nach der Schule und an den Wochenenden Demos auf, und sie stellt sie Künstlern vor. Das ist wirklich toll«, sagte er bescheiden.
»Das kann man wohl sagen.« Michele holte tief Luft, ehe sie fragte: »Schreibst du alles selbst? Musik und Texte?«
»Ja, schon. Aber die Musik fällt mir viel leichter«, gab Philip zu. »Meine Verlegerin versucht, mich mit verschiedenen Textern zusammenzubringen, aber bisher hat es noch mit keinem so richtig gepasst.«
Michele fiel die Kinnlade herunter. Philips Worte vom Vorabend im Jahr 1934 hallten in ihren Ohren wider. »So kannst du ihn an uns erinnern, und daran, wer er einmal war. Schließlich haben wir uns beim Komponieren ineinander verliebt.« Es kam ihr vor, als hätte er das alles aus der Vergangenheit eingefädelt, um ihr einen Weg zurück in sein Leben zu ermöglichen.
»Dürfte ich es mal versuchen?«, fragte sie leichthin. Philips Miene wurde skeptisch, so dass Michele schnell hinzufügte: »Ganz zwanglos. Es ist nur, ich schreibe Songtexte, seit ich mich erinnern kann, und habe genau das gegenteilige Problem – ich kann wesentlich besser mit Worten umgehen als mit Musik.«
Philip lächelte sie belustigt an. »Also gut, warum nicht. Ich würde sagen, ich spiele einfach diesen Song weiter, und dann sehen wir, was dir dazu einfällt.«
Als er die zärtliche Melodie spielte, kam Michele sofort ein Titel in den Sinn. »Ich erinnere mich.« Sie holte ihr Notizbuch und einen Stift aus ihrer Schultasche, und kurz darauf flossen die Worte förmlich aufs Papier.
In deinem neuen Leben
Mit all den neuen Freunden
Scheint es mich nicht zu geben,
Doch ich gebe dich nicht auf.
Das Leben unsrer Träume ist zum Greifen nah,
Wenn du doch nur wüsstest,
Was ich einst für dich war.
Denn ich …
Und dann strömte der Refrain wie ein drängendes Flehen aus ihrem Stift.
Ich weiß noch genau,
Ich lag in deinen Armen.
Ich weiß noch genau,
Du warst für mich da.
Drum frag mich jetzt nicht,
Was mich so sehr betrübt.
Oder hast du vergessen,
Wie sehr wir uns geliebt?
Als sie betrachtete, was sie wie im Rausch geschrieben hatte, legte sich die Hitze einer verlegenen Röte auf ihre
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