Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
legte Ben den Arm um ihre Schultern. Als Philip sie in Bens Arm sah, wandte er den Blick ab, allerdings nicht, ohne vorher die Stirn zu runzeln.
***
Und wenn ich für immer die Einzige bin, die sich erinnert?
Den dritten Tag in Folge hatte Michele beim Mittagessen das Pech gehabt, sich die Philip-und-Kaya-Show ansehen zu dürfen. Das reichte, um alle anderen Gefühle zu dämpfen, sogar ihre Angst vor Rebecca und dem bevorstehenden Kampf.
Was, wenn nur ich unsere Berührungen vermisse, den Klang unseres längst vergangenen Lachens höre und nur ich uns beide in einem vergessenen New York vor mir sehe?
Philip schien mit vollkommen gefasster und unschuldiger Miene geradewegs durch Michele hindurchzusehen, und diese Ambivalenz irritierte sie. Spielt er nur eine Rolle, oder hat er mich wirklich vergessen?
Sie konnte den Blick nicht abwenden. Philips blaue Augen funkelten, als er und Kaya über einen Witz lachten. Er lächelte sein typisches Lächeln, und zum ersten Mal brach es Michele das Herz.
Aber ist das nicht immer so bei einem Lächeln – wenn man weiß, dass es nicht einem selbst gilt?
Zu gern hätte sie diese rasende Eifersucht eingebremst, aber sie war machtlos dagegen. Er war wieder bei ihr, in ihrer Welt, wie er es einst versprochen hatte, sollte sich aber nicht daran erinnern können, was einmal zwischen ihnen gewesen war? Das war, als würde sich die Zeit einen ganz besonders grausamen Scherz mit ihr erlauben.
Und dann trafen sich ihre Blicke. Er hatte sie dabei ertappt, wie sie ihn anstarrte, doch dieses Mal sah sie nicht weg. Und Philip ebenfalls nicht. Sie registrierte, dass Kaya ihn am Arm berührte, um seine Aufmerksamkeit wieder für sich zu gewinnen, doch bevor er sich wieder seiner Tischgenossin zuwandte, sah er Michele einen Augenblick zu lange an.
Es war nur ein kleiner Sieg, aber sie genoss ihn in vollen Zügen. Er konnte sie nicht ganz vergessen haben.
***
An diesem Nachmittag hielt Michele auf ihrem Weg zum Lernsaal plötzlich inne, als sie eine beschwingte Melodie hörte, die von den Wänden der Schule widerhallte. Die Klaviertöne klangen, als würden sie fliegen, tanzen und sich schließlich wehklagend in einem atemberaubenden Tumult auflösen. Michele kannte nur einen Menschen, der so spielen konnte.
Sie drehte sich um, fing an zu rennen und folgte dem Geräusch durch den Flur. Das Klavierspiel wurde stürmischer, als sie zur Tür eines Raums gelangte, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Vorsichtig trat sie ein und fand sich in einer Art Gesangszimmer voller Notenständer und Musikinstrumente wieder. In einer Ecke saß jemand am Klavier, ließ die Hände majestätisch über die Tasten gleiten und wiegte sich im Rhythmus. Philip.
Michele kniff die Augen zusammen, für einen Augenblick fühlte sie sich wieder ins Jahr 1910 zurückversetzt, in die von Kerzenlicht erhellten Nächte im Musiksalon der Walkers, wo sie neben Philip gesessen hatte, während er nur für sie seine neusten Kompositionen spielte. Als sie die Augen wieder aufschlug, glaubte sie fast, sie würde sich im extravaganten Walker Mansion wiederfinden, statt in dem spartanisch eingerichteten Schulzimmer. Es brachte sie völlig durcheinander, Philip in der Schuluniform der Berkshire High, bestehend aus khakifarbener Hose und navyblauem Polo-Shirt, vor sich zu sehen statt im schwarzen Anzug mit weißer Krawatte. Nur sein Klavierspiel hatte sich nicht verändert, es klang so unglaublich wie damals, als sie es zum ersten Mal gehört hatte – so wunderschön, wie es sich auch gestern Abend, im Jahr 1934, angehört hatte.
Philip sah auf. Als er Michele erblickte, erstarrten seine Hände, und das Lied brach abrupt ab.
»Ich hab dich gar nicht gesehen.«
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht stören. Ich habe das Klavier gehört und … musste einfach sehen, wer da spielt.«
Philip konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, und Michele stockte der Atem. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft an der Berkshire lächelte er sie richtig an, und das verlieh ihr die nötige Selbstsicherheit, um einen Schritt näher an das Klavier heranzutreten.
»Deine Art zu spielen … sie erinnert mich an jemanden«, fing sie an.
Philip wandte den Blick ab. »Doch nicht an den Typen, für den du mich neulich gehalten hast?«
Michele kicherte nervös. »Du klingst genau wie der Pianist Phoenix Warren.«
Philip betrachtete die Tasten. »Komisch, mein Klavierlehrer sagt das Gleiche.«
Jetzt – jetzt ist der richtige Zeitpunkt, ihm die
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