Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
begrüßte sie die beiden und heftete sich ein Lä cheln ins Gesicht. Sie hatte bereits entschieden, ihnen nichts von dem gestohlenen Schlüssel zu sagen. Da sie wusste, dass Dorothys Seelenruhe am seidenen Faden hing, befürchtete Michele, diese Information könnte ihr den Rest geben. Außerdem hatte sie den Verdacht, dass ihre Großeltern sie so weit wie möglich von Manhattan fortschaffen würden, sobald sie erfuhren, dass Michele nicht mehr über die Macht und den Schutz des Schlüssels verfügte. So hoffnungslos die momentane Situation auch aussah, Michele konnte New York nicht verlassen. Solange Rebecca hinter ihrer Familie her war, konnte sie nicht fortgehen. Sie war es ihren Eltern, ihren Großeltern und auch sich selbst schuldig, diese Schlacht ein für alle Mal zu beenden. Aber … wie sollte sie das ohne den Schlüssel schaffen, wenn ihr nur noch vier Tage blieben, bis Rebecca ihre volle menschliche Gestalt annahm?
»Wie hältst du dich, Liebes?«, fragte Dorothy, als sie sich neben Michele aufs Sofa setzte.
»Mir geht’s gut. Was ist mit euch? Was habt ihr mit dieser altmodischen Videokamera vor?«
Ihre Großeltern wechselten einen Blick.
»Sie hat deiner Mutter gehört«, sagte Dorothy.
Michele blieb der Mund offen stehen.
»Marion und Irving haben sich in einem Fotokurs kennengelernt. Beide liebten es, zu fotografieren und kleine Filme zu drehen«, erklärte Walter mit einem traurigen Lächeln. »Irving schien besonders von der Technik fasziniert zu sein. Die beiden haben das Haus und das Anwesen gern als Kulisse für ihre Kurzfilme genommen.« Er atmete tief durch. »Als Marion fortging, haben wir es nicht übers Herz gebracht, irgendetwas in ihrem Zimmer anzurühren, aber nachdem ein Jahr ins Land gezogen war, ließen wir schließlich die Haushälterin hinein, und sie fand Marions Cam corder. Wir haben versucht, ihn ihr zu schicken, aber Marion verweigerte die Annahme sämtlicher Pakete und schickte alle Briefe, die wir ihr schrieben, ungeöffnet zurück. Irving war verschwunden, und sie sprach nicht mehr mit uns. In der Kamera lag ein Videoband, aber … wir brachten es nicht fertig, es anzusehen. Es wäre zu schmerzhaft gewesen.«
Michele saß kerzengerade. »Moment! Heißt das, es gibt Videomaterial von meinen Eltern? Von beiden zusammen? Und ich kann es ansehen? « In diesem Augenblick lösten sich alle Angst und Enttäuschungen dieses Tages in Luft auf. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so auf geregt gewesen war. »Ich werde meinen Vater wirklich sehen können, als echten Menschen, nicht nur auf einem alten Foto? Und Mom? Ich werde Mom wiedersehen?«
»Wir hätten dir wohl früher davon erzählen sollen«, räumte Dorothy ein. »Wir sind davon ausgegangen, dass es auch für dich zu schwer wäre. Aber da du jetzt alles weißt … nun, da dachten wir, es wäre der richtige Zeitpunkt.«
Mit einem zittrigen Lächeln griff Michele nach der Kamera. »Dass ich meine Eltern zusammen sehen kann, bedeutet mir alles, auch wenn es nur auf einem Video ist. Vielen, vielen Dank.«
Walter klappte das kleine LCD -Display der Kamera auf, ehe er Michele das Gerät reichte. »Das Band ist aus den frühen Neunzigern, deshalb können wir es auf keinem der Fernsehgeräte hier im Haus abspielen, aber du kannst es direkt auf der Kamera ansehen. Während du in der Schule warst, habe ich die Akkus aufgeladen, also brauchst du nur noch auf Play zu drücken.«
Ehrfurchtsvoll betrachtete Michele den Camcorder in ihren Händen. Obwohl sie diesen antiquierten Apparat nie zuvor gesehen hatte, überkam sie eine Woge der Nostalgie. Es war ein Relikt aus glücklicheren, einfacheren Zeiten. Beinahe konnte Michele die Gegenwart ihrer Mutter darin spüren; sie sah Marion direkt vor sich, wie sie durch das Windsor Mansion lief und dabei durch den Sucher spähte, um in einer Zeit, als Homevideos der letzte Schrei waren, stolz ihre eigenen Filme zu drehen. Wie sie den Camcorder so betrachtete, beschlich Michele das unheimliche Gefühl, dass er ihr etwas mitzuteilen hatte.
»Ich kann nicht glauben, dass ich gleich meine Eltern sehen werde«, sagte Michele staunend. »Wollt ihr mitgucken?«
Die beiden schüttelten die Köpfe.
»Es ist noch immer … zu schwer für uns«, sagte Walter leise. »Aber wir möchten, dass du es anschaust. Du hattest nie die Chance, deine Eltern zusammen zu sehen. Du solltest es dir ansehen.«
»Danke. Ich kann euch gar nicht genug danken«, sagte Michele herzlich.
Sobald ihre
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