Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
sicher bist. Aber ich möchte nicht, dass wir unseren Lebensunterhalt unehrlich verdienen. Also werden wir mit dem Heiraten warten müssen, bis ich mit der Uni fertig bin und angefangen habe zu arbeiten.«
Rebecca lässt ihre Zähne in einem breiten Lächeln aufblitzen und zieht mich an sich. Erst später an diesem Abend, während ich einzuschlafen versuche, geht mir auf, dass sie mich bestochen hat, ihr einen Antrag zu machen. Ich weiß, ich sollte ihr nicht trauen, und doch kann ich nicht widerstehen, mich darauf einzulassen. Sie verwirrt und fasziniert mich, und obwohl der Gedanke mich in meinem Stolz trifft, möchte ich so sein wie sie. Ich will die Macht, die sie in sich trägt: die Fähigkeit, das Unmögliche zu tun.
Als Bodenständige bezeichnen wir all jene Menschen, die nicht durch die Zeit reisen können. In diese Kategorie fallen fünfundneunzig Prozent der Bevölkerung, sie leben in seliger Unwissenheit und ahnen nichts von den Kräften und Fähigkeiten, die für sie immer unerreichbar sein werden. Deshalb dürfen wir Hüter der Zeit niemals einen Bodenständigen in unser Geheimnis einweihen. Das führt nie zu etwas Gutem, sondern nur zu Neid, Missgunst und dem Wunsch, unsere Gesellschaft zu enttarnen.
Ein Hüter der Zeit muss seine Zeitreisefähigkeit selbst vor seiner eigenen Familie geheim halten. Er darf sie nur dem Erben des Schlüssels offenbaren, und zwar kurz bevor er selbst aus der physischen Welt scheidet. Es mag einsam klingen, ein so großes Geheimnis ein ganzes Leben lang bewahren zu müssen, aber eines solltest du wissen: Solange du in der Zeitgesellschaft bist, wirst du niemals allein sein. Du bist von Menschen umgeben, die genau so sind wie du – und dich auf eine Art verstehen, wie es niemand sonst vermag.
– DAS HANDBUCH DER ZEITGESELLSCHAFT
7
D as Läuten der Standuhr riss Micheles Gedanken ins 21. Jahrhundert zurück. Für einen langen Augenblick blieb sie reglos sitzen, während in ihrem Kopf die Bilder von Irving und Rebecca als Teenager an jenem Weihnachtsabend im 19. Jahrhundert kreisten. Sie starrte das Tagebuch an und fühlte sich auf seltsame Weise verraten, da sie nun wusste, dass ihr Vater vor ihrer Mutter mit jemand anderem aus der Familie verlobt gewesen war – noch dazu mit einer so boshaften Person wie Rebecca.
Sie schob das Bücherregal auf, um einen Blick auf die Uhr zu werfen, sah, dass es sechs Uhr abends war, und sprang auf. Walter und Dorothy würden sie zum Abendessen erwarten.
Gerade wollte sie mit Irvings Tagebüchern unter dem Arm aus dem Geheimgang treten, als ihr der eigenartige Gedanke kam, dass diese Schachtel voller Geheimnisse vielleicht besser im Tunnel bliebe. Die Tagebücher hatten dort mehr als hundert Jahre überdauert … Vielleicht war dies das sicherste Versteck für sie, sicherer noch als Micheles Zimmer. Und war es nicht möglich, dass Irving die Bücher in seiner Zeit nicht mehr wiederfinden würde, wenn Michele sie jetzt mitnahm?
Michele brachte es nicht über sich, ihn zu der Hoffnung zu verleiten, Marion hätte sie endlich doch noch gefunden. Widerstrebend legte sie Irvings Brief und die Tagebücher zurück in den Tunnel, bevor sie den Eingang hinter sich verschloss.
Auf dem Weg von der Bibliothek zum Speisezimmer war sie in Gedanken voll und ganz in dem versunken, was sie gerade gelesen hatte. Dann kam Michele ein so verblüffender Gedanke, dass sie fast über ihre eigenen Füße gestolpert wäre. Wenn der Plan ihres Vaters aufgegangen wäre, Marion die Tagebücher also tatsächlich gefunden und den Schlüssel benutzt hätte … dann wäre Michele wirklich im 19. Jahrhundert geboren worden. In gewisser Hinsicht war ihr Geburtstag im Jahr 1994 also ein Irrtum. Ein Fehler.
Von dieser Erkenntnis hatte sie sich noch immer nicht ganz erholt, als sie sich zu Walter und Dorothy an den Abendessenstisch setzte. Der erste Gang, ein reichhaltiger Salat, war bereits aufgetragen, aber Michele wusste nicht, ob sie nach dem Tag, den sie hinter sich hatte, überhaupt etwas hinunterbekommen würde.
»Wie war es?«, fragte Dorothy neugierig, als sich Michele setzte.
Für einen Moment erstarrte sie und dachte, ihre Großeltern hätten irgendwie von dem Geheimgang und den Tagebüchern erfahren, doch dann fiel ihr das Video wieder ein.
»Es war so surreal und unglaublich, sie zu sehen.« Bei der Erinnerung daran lächelte Michele. »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal die Gelegenheit dazu bekommen würde. Sie waren so glücklich und
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