Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
verbracht.«
Erschrocken taumele ich zurück, nicht sicher, ob Rebecca wirklich das Glück hat, eine Zeitreisende zu sein, wie sie behauptet – oder doch eine Art Dämon ist. Sie scheint die Angst in meinem Gesicht lesen zu können und verdreht die Augen, dann reicht sie mir das Blatt Papier. Ich falte es auseinander und sehe, dass es eine Seite aus einem Kalender ist. Aus einem Kalender von 1900.
Fassungslos schweigend starre ich sie an. Dieses Gespräch hat meine ganze Welt erschüttert: Es hat unendliche Möglichkeiten eröffnet, und jetzt verspüre ich den ersten Stich des Neids und den plötzlichen, alles verschlingenden Wunsch, das zu haben, was sie hat. In diesem Augenblick weiß ich, dass ich nie wieder derselbe sein werde – dass ich von nun an alles tun würde, um an ihrer Kraft teilzuhaben. Ich bin der Wissenschaftler von uns, derjenige, der von der Zukunft fasziniert ist. Gewiss ist es kein netter Zug von mir, aber ich kann nichts anderes denken als: Es hätte mich an ihrer Stelle treffen sollen.
»Nimm mich mit«, bettle ich. »Du weißt, wie sehr ich mich danach sehne, die Zukunft zu sehen. Bitte nimm mich mit.«
Mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck sieht Rebecca mich an. Ich weiß, dass sie diesen Augenblick aus kostet, es ist das erste Mal, dass ich sie um etwas anflehe. Rebecca war schon immer machthungrig, und ihre gesellschaftliche Stellung hat diese Sucht befördert. Als eine der prominentesten Erbinnen Amerikas besitzt sie alle Insignien der Macht, aber als junge Frau unserer Zeit wird in ihrem Leben immer jemand anderes die Entscheidungen für sie treffen, zuerst ihre Eltern, später ihr künftiger Ehemann. Und deshalb genießt sie jede Gelegenheit, andere unter ihrer Fuchtel zu haben, damit sie der Welt zeigen kann, dass sie die Herrin der Lage ist.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, antwortet sie bedächtig. »Ich bin nicht ganz sicher, ob es so funktioniert. Aber wenn, dann gäbe es nur einen Weg, wie du mit mir kommen kannst. Als mein Mann.«
Fast hätte ich laut losgeprustet. Sie muss mich auf den Arm nehmen. Aber als ich ihre ernste Miene und ihren sehnsuchtsvollen Blick sehe, begreife ich mit Schrecken, dass es kein Scherz ist.
»Aber Rebecca, du kannst doch nicht ernsthaft erwarten, dass deine Eltern einer Ehe mit mir zustimmen«, sage ich in dem Versuch, ihr diese hirnrissige Idee auszureden. »Es würde deine Mutter umbringen, dich mit jemand Geringerem als einem Baron zu sehen.«
»Ich brauche die Erlaubnis meiner Eltern nicht mehr, und auch sonst nichts von ihnen«, schießt Rebecca zurück. »Ich bin in die Zukunft gereist und kann es immer wieder tun. Dort kann ich Erfindungen und geheime Bankinformationen aufspüren und sie in unsere Zeit holen. Ich werde ein Vermögen für uns machen, werde reich und unabhängig sein, sogar ohne Verbindung zu den Windsors.«
»Was sagst du da?« Entsetzt starre ich sie an. »Du willst deine Familie verleugnen und deinen Lebensunterhalt mit unredlichen Mitteln verdienen?«
»Nur wenn es sein muss«, erwidert Rebecca achselzuckend.
Fassungslos schüttele ich den Kopf. »Warum ich? Warum solltest du all das tun, um mit mir zusammen zu sein, wenn du es mit jemandem deines Rangs so viel leichter haben könntest?«
»Weil du der Einzige bist, der mich versteht und nicht versuchen würde, Macht über mich auszuüben«, antworte Rebecca geradeheraus. »Und du hast mir schon immer gefallen, schon seit wir Kinder waren. Du warst immer der Einzige, den ich wollte.«
Und plötzlich tritt die zeitreisende Erbin einen Schritt auf den Sohn des Butlers aus der Mittelschicht zu … und küsst ihn kühn auf den Mund. Als mir aufgeht, dass ich in der Falle sitze, rutscht mir das Herz in die Hose. Ich hege keine romantischen Gefühle für Rebecca, und die Berührung ihrer Lippen auf meinen lässt mich erschaudern.
Aber andererseits hat ihre Freundschaft meine Kindheit in der Dienstbotenetage gewiss um einiges fröhlicher gemacht. Besonders erinnere ich mich daran, wie nett sie nach dem Tod meines Vaters zu mir war, wie sie mich mit ihren neusten Spielsachen spielen ließ, um mich von meiner Trauer abzulenken; wie sie ihre Eltern überredete, einen ganzen Monat lang schwarze Trauerkleidung tragen zu dürfen. Es gäbe weit Schlimmeres, als mit dieser Freundin verheiratet zu sein – und in das New York der Zukunft reisen oder sogar dort leben zu können, würde ein gutes Geschäft daraus machen.
»In Ordnung«, stimme ich zu. »Wenn du dir
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