Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
sah das Bild ihres Vaters vor ihren Augen verschwimmen, bis er ganz verschwand und sie sicher war, wieder in ihrer eigenen Zeit zu sein.
Siebter Tag
Michele erwachte mit dem Gefühl, dass sich die Welt über Nacht verändert hatte. Das Grau des Himmels war dunkler und matter geworden, von der Sonne keine Spur, und die normalerweise durch Manhattan brausenden Autos waren ungewöhnlich leise, ebenso das Heulen der Sirenen. Es war, als versuchte die Stadt sich davor zu verstecken, dass Rebecca in Kürze sichtbar werden würde.
Diesmal gab Michele nach, als Walter und Dorothy sie baten, nicht zur Schule zu gehen. Auch wenn ihr der Gedanke daran überhaupt nicht gefiel, wollte Michele, dass ihren Großeltern wenigstens diese letzte glückliche Erinnerung an sie blieb, wenn Rebecca an diesem Abend siegen sollte. Gemeinsam vertrödelten die drei den Tag und taten ihr Bestes, um ihre Nervosität zu verbergen, während sie Lily-Windsor-Platten hörten und Brettspiele spielten. Es hätte einer der schönsten Tage sein können, die sie je mit Walter und Dorothy verbracht hatte, wäre da nicht dieses Ereignis gewesen, das ihnen bevorstand.
Zur Abendessenszeit fuhr Philip mit seinem Audi vor, und als Michele ihn ihren Großeltern vorstellte, dachte sie, wie surreal und eigenartig es doch war, dass sie sich ausgerechnet vor dem drohenden Kampf gegen Rebecca zum ersten Mal begegnen sollten. Am Abend zuvor hatten Walter und Dorothy voller Staunen Micheles Geschichte gelauscht. Sie hatte ihnen von ihrer Beziehung zu Philip erzählt, und auch davon, dass er über Rebecca Bescheid wusste. Es war ihnen anzusehen, dass ihnen die Vorstellung Angst machte, die Geschichte einer Liebe zwischen den Zeiten könne sich wiederholen. Aber sie schienen auch Trost darin zu finden, dass Philip ihr vielleicht helfen konnte.
Nach einem angespannten Abendessen, bei dem keiner von ihnen etwas hinunterbrachte, stiegen alle vier in Philips Wagen. Michele saß vorn. Während der Fahrt legte Philip beruhigend seine Hand auf ihre, und sie stellte erstaunt fest, dass seine Berührung ihr selbst in einem Moment wie diesem ein Kribbeln durch den Körper jagte.
1953
Philip Walker knöpfte seinen Mantel zu und schlang sich den Schal enger um den Hals, um sich gegen die plötzlichen heftigen Windböen zu wappnen. Offenbar hatte er sich den falschen Tag für einen flotten Spaziergang über die Brooklyn Bridge ausgesucht. Außer ihm waren nur wenige Fußgänger unterwegs, und er konnte sie missmutig über das Wetter grummeln hören.
Die Hälfte habe ich schon geschafft, es wäre sinnlos, jetzt umzukehren, dachte Philip achselzuckend und ging weiter.
1904
Irving Henry stand in gespannter Erwartung auf dem Fußgängerüberweg der Brooklyn Bridge. Würde Rebecca kommen? Er hatte ihr ein Telegramm geschickt, dass er sich hier mit ihr treffen wollte, aber keine Antwort erhalten. Allerdings wusste er, dass sie die Leute gern auf Trab hielt, und nach all den Jahren würde sie ganz gewiss zu neugierig sein, um nicht zu erscheinen. Während er wartete, wippte er nervös mit dem Fuß; seine Gedanken weilten mehr als hundert Jahre in der Zukunft – bei seiner Tochter.
2010
Als sie den Wagen geparkt hatten und die Brücke betraten, nahmen Philip, Walter und Dorothy Michele in die Mitte, als wäre sie ein Boxer auf dem Weg zum Ring. Alle vier gingen auf die Brüstung zu; Philip nahm Micheles Hand, und sie blickten auf den blau schimmernden East River hinab. Für einen kurzen Moment ließ Michele die Deckung sinken und tat so, als wäre dies ein Date und nicht der Ausflug, vor dem sie solche Angst hatte. Dann hörte sie die Schreie.
»Die Brücke brennt! Die Brücke brennt!«
Michele, Philip und die Großeltern fuhren herum und sahen eine riesige Fackel, die auf die Brücke stürzte und nur wenige Zentimeter vor ihnen landete. Die wenigen Fußgänger auf der anderen Seite brachten sich eilig in Sicherheit, aber die vier standen nur da und starrten einander sprachlos vor Entsetzen an, während die Flammen näher kamen.
1904
Irvings Rücken versteifte sich, als der verhasste Anblick in sein Blickfeld trat: Eine große, majestätische Gestalt mit vollem, schwarzem Haar und wilden, dunklen Augen schritt auf ihn zu. Er ballte die Hände zu Fäusten.
1953
Philip Walker hatte das Gefühl, von Blicken durchbohrt zu werden; er drehte sich um und erblickte einen der anderen Fußgänger, der ihn voller Abscheu anstarrte. Er sah genauer hin. War das wirklich …? Ja, es
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