Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
bemerkt, wenn man ganz genau hinsieht. Aber das sind Fehler, die zuvor noch nicht da waren. Ich glaube, daß durch die Explosion winzige Tropfen Flußsäure in den zweiten Transitbereich gespritzt sind.«
»Und das Glas angeätzt haben.«
»Ja. Leicht. Aber wenn diese Vertiefungen das Glas geschwächt haben, können die Schilde Risse bekommen, wenn sie mit Wasser gefüllt sind und das Glas unter Druck steht. Oder schlimmer noch, der ganze Schild kann bersten.«
»Und wenn das passiert?«
»Dann haben wir keine komplette Abschirmung mehr«, sagte Gordon und sah Stern direkt in die Augen. »In diesem Fall können wir Ihre Freunde nicht sicher zurückbringen. Wir würden zu viele Transkriptionsfehler riskieren.«
Stern runzelte die Stirn. »Haben Sie eine Möglichkeit, die Schilde zu testen? Zu kontrollieren, ob sie halten?«
»Eigentlich nicht, nein. Wir können einen Schild einer Festigkeitsprüfung unterziehen, wenn wir bereit wären, das Risiko eines Bruchs einzugehen, aber da wir keine Reserveschilde haben, will ich das nicht tun. Statt dessen machen wir eine mikroskopische Sichtprüfung mit polarisiertem Licht.« Er deutete auf den Techniker, der mit seiner Spezialbrille das Glas absuchte. »Damit können wir vorhandene Spannungstrajektorien — die in Glas immer existieren — aufspüren und ungefähr abschätzen, ob sie brechen oder nicht. Außerdem hat er eine Digitalkamera, die die Daten direkt in den Computer einspeist.«
»Sie machen eine Computersimulation?« fragte Stern.
»Ja, aber das wird eine sehr grobe«, sagte Gordon. »Bringt wahrscheinlich gar nichts, weil sie so ungenau ist. Aber ich mache sie trotzdem.«
»Um was für eine Entscheidung geht es also?«
»Wann wir die Schilde füllen sollen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Wenn wir sie jetzt füllen und sie halten, dann ist wahrscheinlich alles in Ordnung. Aber sicher wissen wir das nicht. Es kann nämlich sein, daß einer der Tanks eine Schwachstelle hat, die erst nach einer gewissen Zeit unter Druck bricht. Das ist ein Argument dafür, die Tanks erst im letzten Augenblick zu füllen.«
»Wie schnell können Sie sie füllen?«
»Ziemlich schnell. Wir haben hier unten einen Feuerwehrschlauch. Aber um die Beanspruchung möglichst gering zu halten, sollte man sie langsam füllen. In diesem Fall würde es fast zwei Stunden dauern, um alle neun Schilde zu füllen.«
»Aber bekommen Sie nicht zwei Stunden vor der Landung schon die ersten Feldanomalien?«
»Ja — wenn im Kontrollraum alles funktioniert. Aber der war zehn Stunden lang abgeschaltet. Die Säuredämpfe sind bis in den Kontrollraum gedrungen. Es kann sein, daß die Elektronik gelitten hat. Wir wissen nicht, ob alles hundertprozentig funktioniert.«
»Jetzt verstehe ich«, sagte Stern. »Und jeder Tank ist anders.«
»Genau. Jeder ist anders.«
Das war, dachte Stern, das klassische wissenschaftliche
Problem der Umsetzung abstrakter Theorien in die Praxis. Risiken und Unsicherheiten abwägen. Die meisten Menschen begriffen gar nicht, daß die meisten wissenschaftlichen Probleme sich so darstellten. Saurer Regen, globale Erwärmung, nachhaltige Entwicklung, Krebsrisiken – diese komplexen Fragen waren fast immer ein Balanceakt, eine Frage der richtigen Einschätzung und Beurteilung. Wie solide waren die Forschungsdaten? Wie vertrauenswürdig waren die Wissenschaftler, die die Recherchen betrieben hatten? Wie verläßlich war die Computersimulation? Wie aussagekräftig waren die Extrapolationen in die Zukunft? Diese Fragen stellten sich immer wieder. Die Medien gaben sich natürlich nicht mit diesen Komple xitäten ab, da sie keine guten Schlagzeilen produzierten. Als Folge davon dachten viele Leute, Wissenschaft sei schablonenhaft, formalisiert und eindeutig, auf eine Art, wie sie es nie war. Sogar so allgemein akzeptierte Konzepte wie etwa die Annahme, daß Keime Krankheiten erregten, war nicht so hundertprozentig bewiesen, wie die Leute annahmen.
Und in diesem Fall, einem Fall, der unmittelbar die Sicherheit seiner Freunde betraf, sah Stern sich Unsicherheiten auf verschiedenen Ebenen gegenüber. Es war unsicher, ob die Tanks halten würden. Es war unsicher, ob die Systeme im Kontrollraum korrekt funktionierten. Es war unsicher, ob man die Tanks jetzt langsam oder später schnell füllen sollte. Sie hatten nun die Aufgabe, die Umstände richtig einzuschätzen und zu beurteilen und möglichst gesicherte Schlußfolgerungen zu ziehen. Und davon hingen Menschenleben
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