Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
betrachtete die Graphik. Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Es ist komisch«, sagte er schließlich, »daß Bellin und Kramer zufällig am selben Tag hier auftauchen.«
Die Doktoranden sahen einander an. »Was ist komisch daran?« fragte Chris.
»Bellin hat nicht mal gefragt, ob er sie kennenlernen kann. Und sonst will er Sponsoren doch immer kennenlernen.«
Chris zuckte die Achseln. »Er schien es sehr eilig zu haben.«
»Ja. Genau so hat es ausgesehen.« Er wandte sich an Stern. »Druck es auf jeden Fall aus«, sagte er. »Mal sehen, was unsere Architektin dazu zu sagen hat.«
Katherine Erickson — aschblond, blauäugig und sonnengebräunt — hing in fünfzehn Meter Höhe, das Gesicht nur Zentimeter von der beschädigten gotischen Decke der Kapelle von Castelgard entfernt. Sie hing rücklings in einem Haltegeschirr und machte sich seelenruhig Notizen über den Zustand der Konstruktion knapp über ihr.
Erickson war der Neuling unter den Doktoranden, sie war erst wenige Monate zuvor zu dem Projekt gestoßen. Ursprünglich war sie nach Yale gegangen, um Architektur zu studieren, hatte aber bald gemerkt, daß ihr das Fach nicht zusagte, und war deshalb in die historische Fakultät gewechselt. Dort hatte Johnston sie entdeckt und sie zum Mitmachen überredet, so wie er alle anderen überredet hatte: »Warum legen Sie diese alten Bücher nicht beiseite und betreiben ein bißchen echte Geschichte. Geschichte zum Anfassen?«
Zum Anfassen war es ja — allerdings hier in luftiger Höhe. Wobei Kate das nichts ausmachte. Sie war in Colorado aufgewachsen und eine begeisterte Kletterin. Jeden Sonntag verbrachte sie in den Felshängen der Dordogne. Hier kletterte kaum jemand, was großartig war. Zu Hause in den USA mußte man an einer guten Wand Schlange stehen.
Mit ihrem Pickel schlug sie Mörtelproben von verschiedenen Stellen ab, die später einer spektroskopischen Analyse unterzogen wurden. Jedes Fragment steckte sie in einen der kleinen Plastikbehälter, die aussahen wie Filmdöschen und in einem Gurt steckten, den sie wie einen Patronengurt um Schulter und Brust trug.
Sie beschriftete eben die Döschen, als sie eine Stimme hörte: »Wie kommst du von da oben runter? Ich will dir was zeigen.«
Sie schaute über die Schulter, sah unten am Boden Johnston. »Ganz einfach«, sagte sie. Kate löste die Leinen, glitt behende zu Boden und landete leichtfüßig. Sie schob sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Kate Erickson war kein hübsches Mädchen – wie ihre Mutter, am College eine Schönheitskönigin, ihr oft genug gesagt hatte –, aber sie hatte ein frisches, typisch amerikanisches Aussehen, das viele Männer attraktiv fanden.
»Ich glaube, du kletterst auf alles rauf«, sagte Johnston.
Sie löste sich aus ihrem Haltegeschirr. »Anders kommt man an diese Daten nicht ran.«
»Wenn du meinst.«
»Ernsthaft«, sagte sie. »Wenn du eine Architekturgeschichte dieser Kapelle willst, dann muß ich da hoch und Mörtelproben nehmen. Weil diese Decke nämlich viele Male neu aufgebaut wurde — entweder weil sie schlecht konstruiert war und immer wieder einstürzte, oder weil sie in Kriegen zerstört wurde, durch Belagerungsmaschinen.«
»Bestimmt bei Belagerungen«, erwiderte Johnston.
»Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte Kate. »Die Hauptgebäude der Burg – die große Halle, die inneren Gemächer — sind solide, aber einige der äußeren Mauern sind nicht gut konstruiert. Teilweise sieht es so aus, als wären Mauern nachträglich hinzugefügt worden, um Geheimgänge zu schaffen. Diese Burg hat einige. Es gibt sogar einen, der in die Küche führt. Wer diese Veränderungen gemacht hat, muß ziemlich paranoid gewesen sein. Und vielleicht wurden sie zu schnell ausgeführt.» Sie wischte sich die Hände an ihren Shorts ab. »Und, was willst du mir zeigen?«
Johnston gab ihr ein Blatt Papier. Es war ein Computerausdruck, eine Ansammlung von Punkten in einem geometrischen Muster. »Was ist das?« fragte sie.
»Sag's du mir.«
»Sieht aus wie Sainte-Mere.«
»Wirklich?«
»Ich würde sagen, ja. Aber das Komische ist…«
Sie verließ die Kapelle und sah hinunter zu der Klosterausgrabung, die etwa anderthalb Kilometer entfernt im Flachland lag.
»Hm …«
»Was ist?«
»Auf dieser Skizze sind Sachen eingezeichnet, die wir überhaupt noch nicht entdeckt haben«, sagte sie. »Eine Apsiden-Kapelle neben der Kirche, ein zweiter Kreuzgang im nordöstlichen Quadranten und… das
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