TimeRiders
Jetzt, wo er gegen die Ziegelwand des Eisenbahnbogens gelehnt zusah, wie der Urwald immer dunkler wurde und sich der Himmel von purpurrot zu violett verfärbte, merkte er erst, wie entsetzlich müde er war. Endlich, nach zwei Wochen extremer Anspannung, in denen er gewusst hatte, dass ihn jeden Moment etwas Urzeitliches, Wildes und Hungriges packen und mit sich fortreiÃen konnte ⦠war er wieder hier, an einem sicheren Ort. Oder zumindest sichereren Ort. An einem Ort, an dem er für eine Weile die Augen schlieÃen und sich tatsächlich ausruhen konnte.
»Sie ist fast schon so weit«, berichtete Maddy. »Wir bereiten das Portal vor. Wir stellen es so ein, dass sie dort eine Minute, nachdem sich das andere Fenster geschlossen hat, eintrifft. Die Echsen sollten dann alle noch dort herumstehen, sich am Kopf kratzen und sich wundern, wohin ihr verschwunden seid.«
»Wie geht es ihr?«
»Der Arm sieht aus, als hätte er begonnen, sich zu regenerieren. Ich habe neues Muskelgewebe gesehen. Allerdings noch keine Haut. Ich nehme an, das kommt später. Jedenfalls hat Sal ihr Arm und Hand einbandagiert, um sie zu schützen.«
»Wie geht es ihr?«, wiederholte er. »Kann sie es schaffen?«
»Sie sagt, dass sie über 47 Prozent ihrer Funktionskapazität verfügt.« Maddy grinste. »Und sie freut sich sehr über die Waffe.«
Liam lachte leise. »Sie ist genau wie Bob.«
»Sie könnten Bruder und Schwester sein.«
»Ja, das sind sie ja auch irgendwie, nehme ich an.«
»Stimmt.«
Liam machte eine Kopfbewegung zu dem Dorf am anderen Ufer hinüber. »Irgendwie kommt mir das falsch vor.«
»Was?«
»Was wir tun. Dass wir das übrige Rudel töten. Ich meine, schau doch, was aus ihnen geworden ist.« Er schüttelte lachend den Kopf.
»Was ist denn so komisch dran?«
»Ich bin beinahe stolz auf sie, ja, das bin ich. Es ist, als ⦠Als ob sie meine Geschöpfe wären. Wir haben ihnen gezeigt, wie man eine Brücke baut, wie man einen Speer einsetzt. Und, nach weià Gott wie vielen tausend Jahren â¦Â«
»Millionen von Jahren, um genau zu sein.«
»Nach Millionen von Jahren ist das hier dabei herausgekommen. Eine brandneue, intelligente Art. Und jetzt kommen wir und wollen sie alle auslöschen. Es gibt doch ein Wort dafür �«
»Genozid?«
»Aye, das ist es. Das, was Hitler mit den Juden machen wollte. Und wir machen es mit diesen Kreaturen. Sie sind nicht einfach nur dumme, stumpfe Tiere, Maddy. Die im Dschungel waren sehr schlau, das hat man gleich gemerkt. Sehr schlau, und inzwischen sind sie genauso schlau wie wir Menschen.«
»Nein, Liam, das stimmt nicht. Dieser Typ, dieser Cartwright, hat es ganz gut auf den Punkt gebracht.«
»Was?«
»Ãberleg dir mal, wie lange sie sich wohl schon auf dieser Entwicklungsstufe befinden. Hm, was meinst du? Sie könnten all das hier â die Boote, die Speere, die Hütten und alles, was sie haben â bereits vor Millionen von Jahren entwickelt haben. Und trotzdem sind sie nicht weitergekommen.« Sie sah zu dem Dorf hinüber. »Warum sonst tragen sie keine schicken Anzüge, und sprechen in Handys?«
Liam zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatten sie das alles schon. Vielleicht waren sie vor Millionen von Jahren so schlau und dieser Ort war eine groÃe Stadt, wie New York.«
»Und dann? Dann sind sie wieder wild geworden?«
»Wer wei� Vielleicht hatten sie so etwas wie einen Krieg? Vielleicht hatten sie eine unglaublich hoch entwickelte Kultur, die dann zusammenbrach? Oder irgendeine furchtbare Waffe löschte alle aus, und nur einige wenige überlebten?«
Maddy nickte. »Ja, das wäre möglich. In 65 Millionen Jahren kann viel passieren.«
»Aye, und wer kann schon sagen, ob es nicht eines Tages auch uns passiert? Und bald passiert?«
Sie sah ihn an. »Meinst du Kramers Zeit?«
»Vielleicht eher Fosters Zeit. Erinnerst du dich an das, was er uns über die Zukunft erzählte? Ãber die vor uns liegenden dunklen Zeiten? All das über die globale Erwärmung, die Ãberschwemmungen, die Umweltverschmutzung und die vergifteten Meere ⦠über die Milliarden hungernder Menschen?«
Ja, Maddy erinnerte sich. Es war eine Zukunft, die sich bereits in ihrem Leben angekündigt hatte. Jenes Gipfeltreffen in Kopenhagen, das nach Ansicht vieler die
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