Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
Vom Netzwerk:
Herr Thaler.“
    Senhor van der Tholen schaukelte schweigend, und Timm blickte
    wieder aus dem Fenster. Die Kutsche kehrte bereits vom Flugplatz
    zum Schloß zurück. Selek Bei ritt wie am Tage zuvor nebenher. An
    Lefuets Seite saß ein großer, fülliger Herr mit einer Glatze.
    „Der Baron kommt schon zum Schloß zurück, Senhor van der
    Tholen.“
    „Dann will ich Ihnen kurz meine Bitte vortragen, Herr Thaler.
    Der Erbschaftsvertrag ist so abgefaßt, daß der neue Baron…“
    „Wieso der neue Baron?“ unterbrach ihn Timm. Dann aber
    merkte er am Gesicht des Händlers, daß der vom Geheimnis des
    Barons nichts wußte. Also fügte der Junge hinzu: „Entschuldigung, daß ich Sie unterbrochen habe.“
    Obwohl van der Tholen ihn mit angehobenen Brauen musterte,
    als erwarte er eine Erklärung für die seltsame Frage, sagte Timm
    nichts mehr. So fing Senhor van der Tholen noch einmal von vorn
    an: „Der Erbschaftsvertrag ist so geschickt abgefaßt, daß der neue Baron Ihnen den gesamten Besitz wieder streitig machen kann, wenn er will. Nun, das ist seine und Ihre Sache. Mich interessieren dabei nur die Stimm-Aktien.“
    Timm sah durchs Fenster, wie Kutsche und Reiter am Fuß der
    Treppe verhielten. Die Herren schienen ein lebhaftes Gespräch
    miteinander zu führen.
    „Was sind Stimm-Aktien?“ fragte der Junge.
    „In unserer Gesellschaft, Herr Thaler, gibt es ein paar Aktien im Wert von etwa zwanzig Millionen portugiesischen Escudos. Wer die
    besitzt, hat Stimmrecht im Verwaltungsrat. Er allein entscheidet, was geschieht, und sonst niemand.“
    „Und erbe ich diese Stimm-Aktien, Senhor van der Tholen?“
    „Einen Teil, junger Herr. Die übrigen gehören Selek Bei, Mister
    Penny und mir.“
    (Mister Penny war offensichtlich der füllige Glatzkopf, der jetzt mit Lefuet und Selek Bei langsam die Schloßtreppe hinaufschritt.)
    „Und Sie wollen mir meine Stimm-Aktien abkaufen?“
    „Das könnte ich gar nicht, weil der Baron darüber verfügt, bis Sie einundzwanzig sind. Aber sollten Sie das einundzwanzigste
    Lebensjahr erreichen und die Erbschaft in aller Form antreten, dann würde ich Ihnen die Aktien gern abkaufen. Dafür biete ich Ihnen
    heute schon eine beliebige Firma unseres Unternehmens an. Diese
    Firma würde Ihnen auch dann gehören, wenn die Erbschaft aus
    irgendeinem Grunde für ungültig erklärt werden würde.“
    Der Portugiese erhob sich aus dem Schaukelstuhl. Sein Mund war
    wieder das geschlossene Haifischmaul. Er hatte für seine
    Verhältnisse ungewöhnlich viel geredet. Nun war es an Timm, etwas zu sagen.
    Er sagte: „Ich werde mir Ihren Vorschlag überlegen, Senhor van
    der Tholen.“
    „Tun Sie das, junger Herr! Sie haben drei Tage Zeit.“ Damit
    verließ der Kaufmann den Jungen.
    Als Timm aus dem Fenster blickte, war die Schloßtreppe leer.
    Hier saß nun im Turmzimmer eines Schlosses im hohen
    Mesopotamien ein Junge namens Timm Thaler, vierzehn Jahre alt
    und aufgewachsen in einer Großstadtgasse, ein Knabe ohne Lächeln, aber an Macht und Reichtum ein künftiger König, falls ihm an dieser Krone etwas lag.
    Obwohl Timm das Ausmaß seines Reichtums noch gar nicht
    kannte, wußte er doch schon, daß eine riesige Flotte von Schiffen unter dem Namen des Barons die Meere befuhr. Er ahnte, daß die
    großen Märkte der Welt – wie jener in Athen – seinem Reichtum
    tagtäglich neue Reichtümer hinzufügten; und er sah eine ganze
    Armee von Direktoren, Unterdirektoren, Angestellten und Arbeitern, Hunderte, Tausende, vielleicht Zehntausende, die ausführten, was er befahl. Diese Vorstellung war ein Kitzel. Wenn Timm daran dachte, daß er einmal einen lächerlichen Kampf um den Platz für seine
    Schularbeiten hatte kämpfen müssen, wenn er daran dachte, wie
    klein und unbedeutend Präsidents vom Wasserwerk ihm gegenüber
    geworden waren, dann kam er sich hier oberhalb des seltsamen, aber doch prächtigen Parks wie jener einsame bayerische Märchenkönig
    vor, von dem eine ältliche Lehrerin in der Geschichtsstunde
    geschwärmt hatte. Timm träumte, daß er in einer goldenen Kutsche, begleitet von Selek Bei zu Pferde, vor Frau Bebbers Bäckerladen
    vorführe – unter den Augen einer maulaufsperrenden Nachbarschaft.
    Der Junge im Turmzimmer vergaß für eine Weile sein verlorenes
    Lachen und träumte den Traum vom Königsein.
    Die Wirklichkeit sah anders aus. Die Wirklichkeit hieß Margarine
    und sollte ihn an sein verlorenes Lachen deutlich genug erinnern.

    Dreiundzwanzigster Bogen

    Die

Weitere Kostenlose Bücher