Timm Thaler
dem Buttermarkt“, die
Timm herzlich gleichgültig war. Immerhin begriff er, daß die Firma mit mehreren großen Molkerei-Genossenschaften verzankt war und
daß eine andere Firma in Norwegen, Schweden, Dänemark,
Deutschland und Holland bessere und billigere Butter verkaufte als Lefuet. Aus diesem Grunde flogen sie jetzt zu dem Schloß in
Mesopotamien. Dort wollte der Baron „die Sachlage klären“ und
„Maßnahmen ergreifen“. Zwei andere Herren waren jetzt ebenfalls
im Flugzeug unterwegs zu dem Schloß. Der eine Herr, ein Mister
Penny, kam aus London, der andere, Senhor van der Tholen, aus
Lissabon.
Als das Flugzeug bereits die kahlen Hochflächen Anatoliens
überflog, sprach der Baron immer noch von Buttersorten und
Butterpreisen. Dabei redete er von „Verkaufsfront“, „Konsumenten-
Etappe“ und „angriffiger Werbekampagne“, als sei er ein General,
der eine Schlacht gewinnen müsse.
Um auch irgend etwas dazu zu sagen, bemerkte Timm, als der
Baron eine Pause machte: „Bei uns zu Hause gab es immer nur
Margarine.“
„Margarine ist kein Geschäft und als Brotaufstrich eine
Zumutung“, brummte Lefuet.
„Sie wurde aber nicht nur aufs Brot geschmiert“, berichtigte
Timm. „Bei uns wurde damit auch gebacken, gebraten und
gesotten.“
Jetzt wurde der Baron aufmerksam. „Für Sie war die Margarine
also Schmalz, öl, Backfett und Butter in einem, wie?“
Timm nickte. „Ich glaube, allein in unserer Gasse wurde jeden
Tag mindestens ein Zentner Margarine verbraucht.“
„Das ist interessant“, murmelte Lefuet. „Das ist hochinteressant, Herr Thaler! Ausweichmanöver mit Margarine und Geländegewinn
auf dem Buttermarkt. Das ist beinah genial. Aber wie?“
Der Baron versank in Nachdenken, er schien auf seinem Sitz
förmlich in sich zusammenzusinken. Und das war Timm lieb; denn
unter sich sah er in den Falten des Gebirges aus verschiedenen
Richtungen Eselkarawanen ziehen, die alle einem Punkt zustrebten, anscheinend einem Ort, an dem Markttag war. Der Pilot flog des
Jungen wegen sehr niedrig, und so konnte Timm auch die Eseltreiber und -treiberinnen ziemlich deutlich erkennen. Da er die Gesichter nur als helle Scheiben mit oder ohne Schnauzbart sah, beurteilte er die Leute da unten nach ihrer Kleidung, und die war für seine Augen so absonderlich, daß diese Menschen ihm vorkamen wie seltsame
fremde Tiere, die man in zoologischen Gärten sieht. Natürlich war das großer Unsinn; denn wenn die Leute da unten frisiert und
gekleidet gewesen wären wie zum Beispiel die Leute in Timms
Geburtsstadt, hätte der Junge nichts Absonderliches an ihnen
gefunden außer vielleicht ihre etwas dunklere Hautfärbung. Aber bei einem vierzehnjährigen Jungen, der unvorbereitet in ferne Länder
entführt wird, ist eine unrichtige Meinung über nie zuvor gesehene Völkerstämme begreiflich und erklärlich. Im übrigen sollte Timm
sehr bald am Beispiel Selek Beis lernen, neue Bekannte und andere Völker nicht vorschnell zu beurteilen.
Dieser Selek Bei kam aus einem Olivenwäldchen herausgeritten,
als das Flugzeug in einem hochgelegenen flachen Tal gelandet und
Timm als erster ausgestiegen war. Lefuet begrüßte ihn ungewöhnlich höflich auf arabisch. Unter dem Verbeugen flüsterte er dem Jungen zu: „Er ist ein großer Kaufherr und das Oberhaupt der Yeziden. Er hat in Ihrer Heimatstadt studiert. Gleich wird er anfangen, deutsch mit uns zu reden. Behandeln Sie ihn ehrerbietig, und verneigen Sie sich tief.“
Selek Bei wandte sich jetzt an Timm, der nicht wenig verwirrt
war. Der bärtige Greis trug eine Kleidung, deren einzelne Teile der Junge erst nach und nach erkannte. Da war ein Hemd, ein Wams, ein Rock und ein Überrock, dazu ein farbiges Tuch, das um den Bauch
geschlungen war, und schließlich ein Rock, wie ihn Frauen tragen, unter dem geschlungene Beinkleider sichtbar waren. Das alles war
von prächtigster Farbigkeit, in der das Rostrot vorherrschte. Das dunkle Gesicht Selek Beis war eckig, aber fast ohne Falten. Unter schwarzen Brauen saßen blaue Augen.
„Ich nehme an, junger Herr, Sie sind der berühmte Erbe, von dem
die Zeitungen berichten“, sagte er in erstaunlich gutem Hochdeutsch.
„Ich begrüße Sie und wünsche Ihnen Gottes Segen.“
Der Greis verbeugte sich, und Timm tat das gleiche. Seine
Verwirrung steigerte sich; denn dieser Mann, der ihm Gottes Segen wünschte, war das Oberhaupt der sagenhaften Teufelsanbeter.
Obendrein schien sich hinter dieser
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