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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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und
    mit einem Namen. Sie war kein „Markenartikel“, sondern wurde in
    Fässern und Bottichen an die Händler geliefert, und die Händler
    holten mit flachen Holzlöffeln jeweils so viel Margarine heraus, wie der Kunde verlangte.
    Weil nun die Margarine keinen Markennamen hatte und weil die
    Fabriken, in denen sie hergestellt wurde, den Kunden unbekannt
    blieben, kam oft billige, aber schlechte Margarine von kleinen
    Fabriken auf den Markt; und die großen Händler hatten es schwer,
    „den Margarinemarkt in die Hand zu bekommen“, wie Senhor van
    der Tholen es nannte.
    Das sollte sich nun ändern. Eine Margarinesorte mit einem
    Namen und in einer hübschen Verpackung sollte nach dem Willen
    der Baron-Lefuet-Gesellschaft „auf den Markt gebracht“ werden.
    Und die Einführung dieser Margarine wurde wie ein Feldzug im
    Kriege geplant. Alle wichtigen Margarinefabriken mußten heimlich
    aufgekauft werden; alle Sorten mußten im Laboratorium untersucht
    werden; die beste Sorte mußte auf die billigste Art in jeder dieser Fabriken hergestellt werden; und nicht zuletzt mußte man eine große Reklame vorbereiten, damit die Hausfrauen statt der teuren Butter die „fast ebenso gute“, aber viel billigere Margarine mit dem Namen kauften. (Die namenlose schlechte Margarine würde sozusagen von
    selbst verdrängt werden.)
    Natürlich mußten all diese Vorbereitungen so schnell wie möglich
    und ganz und gar geheim getroffen werden, damit eine andere
    Handelsgesellschaft der Baron-Lefuet-Gesellschaft nicht zuvorkam.
    Es wurden in diesen beiden Tagen Telefongespräche mit fast allen
    größeren Städten Europas geführt; Telegramme kamen und gingen;
    und manchmal brachte ein Flugzeug einen Herrn, der sich für ein
    paar Stunden mit dem Baron und den anderen drei Herren im
    Beratungszimmer verschloß und noch am selben Tage wieder abflog.
    Timm hatte jetzt viel Zeit für sich. Er verbrachte einen halben Tag in seinem Turmzimmer über dem Verhängnisvollen Vertrag, den er
    als kleiner dummer Junge im Schatten einer dicken Kastanie
    unterschrieben hatte. Aber er sah keinen Weg, wieder zu seinem
    Lachen zu kommen. Zudem hatten all die Gespräche über große
    Geschäfte ihn so konfus gemacht, daß er den kurzen Weg nicht sah, der zu seinem verlorenen Lachen führte.
    Aber drei Leute in Hamburg hatten den Weg entdeckt, und ein
    seltsamer Zufall brachte den Jungen mit diesen Leuten in
    Verbindung. Der Zufall bediente sich des Telefons:
    Der kleine Apparat in Timms Turmzimmer schrillte, und als der
    Junge den Hörer abhob, hörte er eine ferne Stimme, die sagte: „Hier Hamburg. Spreche ich mit dem Baron?“
    Timm verschlug es für einen kurzen Augenblick die Sprache.
    Dann schrie er: „Sind Sie es, Herr Rickert? Hier Timm!“
    Die ferne Stimme wurde nun etwas lauter und deutlicher. Sie rief:
    „Ja, ich bin’s! Mein Gott, Junge, was haben wir für ein Glück!
    Kreschimir und Jonny waren bei mir. Kreschimir weiß…“
    Leider ließ Timm Herrn Rickert nicht ausreden. In seiner
    Aufregung schrie er dazwischen: „Grüßen Sie Jonny, Herr Rickert!
    Und Kreschimir auch! Und auch Ihre Mutter, bitte! Und überlegen
    Sie doch…“
    Über Timms Schulter langte eine Hand nach der Telefongabel
    und drückte sie nieder. Das Gespräch war unterbrochen. Der Junge
    fuhr in blassem Erschrecken herum. Hinter ihm stand der Baron. In seiner seligen Aufgeregtheit hatte Timm ihn nicht hereinkommen
    hören.
    „Sie sollten Ihre alten Bekannten vergessen, Herr Thaler“, sagte
    Lefuet ruhig. „Bald werden Sie ein Königreich erben, ein Königreich des Rechenstifts. Dann regieren die Zahlen und nicht die Gefühle.“
    Timm wollte sagen: „Ich will mir’s merken, Baron“, wie er es
    schon so oft gesagt hatte. Aber diesmal war er nicht imstande, sich zu beherrschen. Er legte Arme und Kopf auf das Telefontischchen
    und weinte. Ganz fern hörte er, wie jemand sagte: „Lassen Sie mich mit dem Jungen allein, Baron.“ Dann Schritte und Türenschlagen.
    Und dann wurde es still. Nur Timms Schluchzen war zu hören.
    Der alte Selek Bei war gekommen. Er setzte sich in die Eckbank
    am Fenster und ließ den Jungen sich ausweinen.
    Nach einer langen Weile sagte er: „Ich glaube, junger Herr, Sie
    sind zu weich für das harte Erbe.“
    Timm schluckte noch ein paarmal, wischte sich dann mit dem
    Kavalierstaschentuch aus der Brusttasche die Tränen ab und sagte:
    „Ich will das Erbe gar nicht, Selek Bei.“
    „Was willst du dann, Junge?“
    Es tat Timm gut,

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