Timm Thaler
Apparat. Er bat Timm, um
fünf Uhr den Tee mit ihm einzunehmen. Im Roten Pavillon.
Timm sagte: „Gut, Baron!“ Und frühstückte weiter. Dabei
überlegte er, was Lefuet wohl für ein Anliegen haben möge. Bisher war der Baron einfach hinauf ins Turmzimmer gekommen, wenn er
den Jungen hatte sprechen wollen. Es mußte also einen ganz
besonderen Grund für das Treffen im Pavillon geben.
Beim Mittagessen, das täglich um Punkt ein Uhr durch einen
Gong angekündigt wurde und zu dem Timm über eine schön
geschwungene geschnitzte Treppe zum Speisesaal ins Erdgeschoß
hinunterging, beim Mittagessen also sagte der Baron nichts über die Einladung zum Tee, obwohl der Junge neben ihm saß.
Selek Bei, der gewöhnlich erst am Nachmittag in das Schloß kam,
war diesmal schon da und aß mit. Timm hatte den Eindruck, daß an
diesem Morgen eine wichtige Besprechung stattgefunden hatte. Aber die Herren schwiegen sich darüber aus. Es war überhaupt das
schweigsamste aller Mittagessen im Schloß.
Den Nachmittag pflegte man auf den Zimmern zu verbringen.
Timm, in dessen Zimmer eine kleine deutsche Bibliothek stand, las meistens. Am liebsten waren ihm die rotbraunen Leinenbände im
untersten Regal, die Werke von Charles Dickens. Er verschlang die Romane über arme unglückliche Kinder wie die Bienenstiche von
Frau Bebber. Aber vor dem glücklichen Ende einer Geschichte
fürchtete er sich jedesmal. Drei Romane hatte er einfach nicht
weitergelesen, weil er merkte, daß die Handlung auf einen
glücklichen Ausgang zusteuerte.
Dieser regnerische Nachmittag nun war wie geschaffen für das
Lesen trauriger Romane. Aber Timm las diesmal nicht. Er saß in der Eckbank am Fenster, starrte in das graue Tal hinaus, über dem der Regen gleichmäßig niederrauschte, und versuchte, die Pläne der
Nacht in sein Gedächtnis zurückzurufen. Aber sein Kopf war wie
entleert. Er konnte nicht denken. Er sah nur den Regen und die
traurigen Hunde auf der Treppe und die geschlossene Kutsche, die
jeden Nachmittag mit frischen Lebensmitteln von Mosul kam.
Kurz vor fünf Uhr kam der junge Diener mit einem Regenschirm
ins Zimmer und machte Miene, Timm zum Roten Pavillon zu
begleiten. Aber der Junge nahm ihm den Schirm ab und machte
durch Zeichen verständlich, daß er allein gehen werde.
Dann zog er einen leichten Regenmantel an (sie hatten ihn auf
dem Markt von Athen gekauft) und verließ sein Turmzimmer.
Oberhalb der Treppe stand Selek Bei. Er begrüßte Timm mit
einem Handschlag und drückte ihm dabei einen Füllfederhalter in die Hand. Obwohl niemand in der Nähe war, tat Selek Bei es sehr
heimlich. Dabei flüsterte er: „Unterschreibe hiermit.“
Ehe Timm etwas fragen konnte, war der Alte wieder
verschwunden. Der Junge ließ den Füllhalter in eine Tasche gleiten, stieg die Treppe hinunter und ging durch die Halle auf die große
Schloßtür zu, die ein alter Angestellter ihm öffnete.
Aber bevor Timm hinaustreten konnte in den Regen, rief jemand:
„Einen Augenblick, Herr Thaler!“
Hinter einer Säule trat Senhor van der Tholen vor. Er winkte dem
alten Diener, sich zu entfernen, und fragte dann halblaut: „Haben Sie es sich überlegt, Herr Thaler? Sie versprechen mir Ihre Stimm-Aktien. Ich schenke Ihnen dafür ein großes Unternehmen.“
Fast hätte Timm gesagt: „Ich habe das Geschäft schon mit Mister
Penny gemacht.“ Aber dieser traurige regnerische Nachmittag hatte wenigstens den einen Vorteil, daß er die Gedanken träge machte. So überlegte Timm erst, ehe er eine Antwort gab; und diese Antwort
lautete klugerweise: „Ich kann das Geschäft nicht mit Ihnen machen, Senhor van der Tholen.“
„Schade“, sagte der Portugiese mit unbewegtem Gesicht. Mehr
nicht. Dann wollte er gehen, besann sich aber noch einmal und sagte:
„Kommen Sie uns wenigstens bei den Margarineplänen entgegen,
Herr Thaler.“ Dann ging er endgültig.
Timm wußte sich keinen Reim auf die beiden Begegnungen zu
machen. Zuerst der geheimnisvolle Füllfederhalter von Selek Bei
und nun Senhor van der Tholens unerklärliche Bemerkung über
Timms Mitwirkung an Margarineplanen.
„Fehlt nur noch, daß mir auch Mister Penny über den Weg läuft“,
dachte Timm.
Und er tat es.
Als der Junge unter dem Regenschirm die Schloßtreppe
hinabging, stand Mister Penny – ebenfalls regenbeschirmt – neben
einem triefenden steinernen Windhund.
„Bitte absolute Stillschweigen über unsere kleine Vertrag von
yesterday, ich meine: von
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