Timm Thalers Puppen
Misposegeist getrunken hat, verbrannt. Das heißt, im Grunde brannten da auch Bäume mit, nachdem sie für ganz kurze Zeit fesch-modisch einen Schnaps umkleidet hatten.«
»Aber die Bäume brachten doch ihr gutes Geld«, sagte der Alte.
»Ich denke nicht ans Geld, Baron«, sagte Timm Thaler.
Dann, als der Alte mühsam aufstand und sich dabei einmal um sich selber drehte, wobei sich aus dem Alten der Baron herausschälte, mit Sonnenbrille und im Glencheckanzug, fuhr Timm fort: »Wenn Bäume neunzig oder hundert Jahre
brauchen, um sich auszuwachsen wie jene, die Herr Widmann schlagen ließ, dann soll man solche Bäume nicht für
modischen Schnickschnack fällen und für den Schnickschnack Wald und Wetter ändern und verschlechtern. Die große Wüste Sahara, Baron, so schön sie ist in ihrer wilden Größe, die Wüste Sahara ist auch durch die Schuld des Menschen
entstanden. Denn früher war sie wasserreich und grün.«
»Ob wirklich nur der Mensch schuld ist an all den Wüsten«, sagte der Baron, »das ist…« Mit einemmal änderte er Stimme, Ton und Sprache, als aus der Gasse Krescho und der
Bootsfahrer herauskamen. Mit einemmal, nach einer Drehung um sich selbst, sah ich und hörte ich den alten Mann wieder, der jetzt in italienisch sagte: »… questo e la questione«: »…
das ist die Frage.«
Dann, wieder ausführlich in seiner Nase bohrend, ging der Alte, leicht hinkend, davon, und unsere Ausreißer sprangen zurück in das Boot, zuerst Krescho, der das Lied von den süßesten Früchten sang, die nur die großen Tiere fressen, dann unser Bootsfahrer, der uns erzählte, wie schön und stramm der Sohn von seiner Schwester sei.
Danach fuhren wir ein bißchen durch Murano, zuerst rechts in den Kanal des heiligen Donato hinein, an dessen Ufer wir die Kirche Santa Maria und Donato besichtigten, im Stil halb Morgen- und halb Abendland, wie in Venedig viele Kirchen auch; dann fuhren wir in einem großen Bogen um die Insel herum und wieder in den Canal Grande hinein. Hier machten wir an der kleinen Glasbläserbrücke fest.
Ein Herr, der ebenso hieß wie in Timm Thalers Geschichte, ein Herr Vetrinelli, führte uns hier zuerst durch hohe Häuserwände hindurch, dann durch einen leeren hallenden Fabriksaal und schließlich über einen Hof voller Kartons und Holzwolle in die Glasbläserei.
Die Hitze war, da ja die Außentemperatur schon drückend war, entsetzlich. Wir waren nach wenigen Schritten schon schweißdurchnäßt. Die Hitze kam vor allem von dem großen gasgespeisten Ofen in der Mitte her, in dem rundum, aber durch Wände in Sektoren abgeteilt, die Feuerstellen waren, hellrot lohend. In diesen Feuerstellen, mitten in den Feuern, standen die Kübel mit dem rotglühenden flüssigen Glas.
Die Glasarbeiter holten an Rohren, die sie beständig drehten, ein Weniges aus dieser Masse heraus. Bliesen sie dann ins Rohr hinein, begann die weiche Masse sich
aufzublähen und konnte mit Zangen weiterbearbeitet werden.
Manche jedoch bliesen nicht ins Rohr hinein, sondern formten allein mit Zangen aus der weichen Masse schöne Gegenstände.
Die Einrichtung erschien mir praktisch, aber auch
gefährlich, weil alles hier so offen war. Die Arbeiter aber pfiffen oder sangen trotz der Hitze, vielleicht, um sich ein bißchen gute Laune vorzutäuschen, vielleicht, weil sie tatsächlich guter Laune waren.
Wir sahen der Entstehung eines Kerzenhalters zu, der einfach, schön und trotzdem kunstvoll wurde. Dann hielten wir es in der Hitze nicht mehr aus. Wir verließen die Glasbläserwerkstatt.
Da nun ein jeder, der Muranos Glasbläser besichtigt, hinterher in die Verkaufssäle geführt wird, um dort Glas zu kaufen, führte Herr Vetrinelli uns ebenfalls dorthin. Die Säle waren klimareguliert. Es war angenehm kühl in ihnen.
Mir hatte es hier, schon gleich beim Eintritt in den ersten Saal, ein Kronleuchter angetan, ein funkelndes Gebilde gläserner Tränen, das, wie Herr Vetrinelli uns erklärte, fünfzig Millionen Lire kostete. Ich stand wie geblendet unter dem Flirren und Blitzen und sah, winzig und vielfach gespiegelt in den geschliffenen Tropfen, wie Herr Vetrinelli, Timm und Krescho sich vorwärtsbewegten. Von Träne zu Träne sprangen ihre Bildchen, bis sie den Saal verlassen hatten und ich allein unter dem Kronleuchter stand.
Jetzt hörte ich eine Stimme hinter mir sagen: »Ein schönes Stück, nicht wahr?«
Ich drehte mich um und sah einen dunkel gekleideten
Herrn, aus dessen Brusttasche ein
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