Timm Thalers Puppen
Vater.«
Während wir die eingepackten Schalen und Gläser
abholten, erfuhr ich, daß Krescho schon seit seinem siebenten Jahr im Marionettentheater seines Vaters mitspielte und daß er auch schon Puppen schnitzte, aber nicht etwa Könige und Prinzen, sondern Leute von heute, zum Beispiel die Leute aus seines Vaters neuen Geschichten.
»Dann werden also Tiburtius Schark, Big Meyer oder
Onkel Eduard demnächst Timm Thalers Puppen werden«,
sagte ich, als wir uns von Herrn Vetrinelli verabschiedet hatten und wieder zum Motorboot gingen.
Ja, meinte Timm, so könne man es sagen.
Dann waren wir an der kleinen Brücke angekommen und
stiegen in unser Boot ein.
Während der Fahrt auf der Lagune kühlte uns der Fahrtwind angenehm, doch in Venedig war es wieder schwül, und hier machte Timm uns den Vorschlag, mit dem Motorboot gleich weiterzufahren – bis zu dem kleinen Seebad, in dem sein gemieteter Bungalow stand. »Du kannst bei uns auch
schlafen«, sagte er zu mir. »Es ist noch ein Zimmerchen frei.«
Ich war mit seinem Vorschlag einverstanden, und der
Bootsfahrer, der dadurch mehr verdiente, war es auch. So schlängelten wir uns denn durch die Kanäle, bis wir aus dem Kanal hinter dem Markusdom hinaustuckerten in die
Markusbucht, die wir mit voll aufgedrehtem Motor
durchfuhren, um dann, an den letzten weißen Villen Venedigs vorbei, in eine Welt einzufahren, die ganz anders war als die zurückgelassene Stadt, besonders unter dem schweren
bleiernen Himmel.
Die Welt war hier durchsichtig, gläsern, doch so, als sähe man sie durch rauchfarbenes Glas, und alle Farben waren blaß.
Nur die Segel dreier Boote vor einem entfernten Ufer leuchteten in kräftigem Rostrot herüber.
Wir mußten hier sehr langsam fahren, da das Wasser seicht war. Schlickufer mit dichtwachsenden Binsenbeständen zogen an uns vorüber, ein einsamer Leuchtturm auf einem Inselchen trieb vorbei, und überall, wohin das Auge sah, ragten meist schrägstehende Stöcke aus dem Wasser, und Netze spannten sich zwischen den Stöcken aus.
Mir war, als führen wir durch eine verwunschene Gegend, und ähnlich schien auch Krescho zu empfinden; denn er sagte:
»Das sieht von der Barkasse ja ganz anders als vom Dampfer aus, als ob der See verzaubert wäre.«
»Es ist aber kein Zaubersee, es ist eine von Menschen bewohnte Lagune«, sagte Timm. »So sah es hier überall aus, bevor Venedig entstand. Noch bis zum sechsten Jahrhundert lebten in der Lagune nur Fischer, Muschelsammler und Leute, die Salz aus dem Wasser gewannen. Die hätten sich nie träumen lassen, daß die Lagune einst die Königin der Meere werden würde, die größte Handelsstadt der Welt zu ihrer Blütezeit.«
»Und das haben die Nachkommen der Fischer und
Muschelsammler aus der Lagune gemacht?« fragte Krescho ein bißchen erstaunt.
»Nein«, sagte sein Vater, »das haben Flüchtlinge gemacht, Flüchtlinge aus dem Norden, die vor Hunnen, Lombarden oder anderen Eroberern geflohen sind und die wohl anspruchsvoller als die Fischer und die Muschelsammler waren. Die bauten langsam und auf über hundert Inseln die Stadt Venedig auf.
Wo einst auf Schlick das Schilf gestanden hat, da bauten sie Paläste.«
»Und davon profitierten natürlich die Fischer und
Muschelsammler«, meinte Krescho.
Aber sein Vater schüttelte den Kopf. »So läuft das nicht, mein Junge«’, sagte er. »Die Welt des Handels ist ganz anders als die Welt in der Lagune. Aus einem schlichten
Muschelsammler macht man nicht plötzlich einen
Handelsmann. Wohlhabenheit, die Ansprüche stellt an die Welt, funktioniert ganz anders als die genügsame
Zufriedenheit in der Lagune.«
Wir fuhren jetzt an einer Schlickbank vorüber, auf der, knietief im Schlick, ein Mann mit einem großen Hut stand und gebückt nach Muscheln grub. Sein Gesicht war von der breiten Hutkrempe verdeckt. Als aber Timm jetzt sagte, er könne uns zu diesem Thema eine Geschichte erzählen, hob der Mann den Kopf. Er trug eine dunkle Brille und blickte uns, wie mir schien, feindselig an. Auch murmelte er etwas, das sich anhörte wie »storie, storie, maledizione«: »Geschichten, Geschichten, verflucht noch mal.« Doch ist auch möglich, daß ich mich verhört habe, da der Muschelsammler nur ganz kurz aufblickte. Gleich danach bückte er sich wieder, und wir ließen ihn hinter uns zurück.
Wir fuhren jetzt, zwischen Inselchen hindurch und um Landzungen herum, langsam ins offene Meer hinein. Dabei wiederholte Timm, er habe da eine Geschichte zum
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