Timm Thalers Puppen
da gab’s, mit einer Welle in der Tolle, den Kellner mit den abgestoßenen Ärmelrändern, und mit glitzernden bösen Augen aus Muranoglas blickte der
Muschelsammler aus dem Schlick uns unter seinem schwarzen Hute an. Gerade als Timm und ich die neuen Puppen
musterten, kam Pantalone mit dem zweiten Gang, einem mit viel Gemüse umlegten stattlichen Zahnfisch, und sagte, als er uns auf die Puppen blicken sah: »Die hat der alte Marinetti mir im Tausch für meine eigenen Puppen angedreht. Jetzt ärgere ich mich, daß ich auf den Tausch eingegangen bin. Das ist doch alles Pfusch. Und seht mal hier…« Er zeigte auf Herrn Egon Sieberts Abbild, das ich erst jetzt entdeckte. »Das ist gar keine Marionettenpuppe. Es fehlen ihr die Fäden und Gelenke.
Modernes Zeug. Sieht wunder nach was aus und ist, genau besehen, überhaupt nichts wert.«
»Wenn dir soviel an deinen alten Puppen liegt«, sagte Timm, »dann bring ich sie dir zurück. Du mußt mir dafür aber diese Puppen an der Wand schenken.«
»Nichts lieber als das«, sagte, sichtbar erfreut, Pantalone.
»Aber laß uns später darüber reden. Eßt erst. Guten Appetit!«
Der Wirt ging in die Küche zurück, und Timm und ich aßen vergnügt den Zahnfisch. Dabei erfuhr ich, daß der alte Marinetti, ein Antiquitätenhändler, scharf war auf zwei sehr alte Puppen Timms, die Timm fast immer bei sich hatte. Er hatte sie auch diesmal auf die Reise mitgenommen; und diesmal sollte Marinetti sie bekommen, im Tausch gegen die alten Puppen Pantalones, für die Timm sich die Puppen an der Wand erbat.
»Willst du mit diesen Puppen spielen?« fragte ich Timm.
»Um des Himmels willen, nein«, bekam ich zur Antwort.
»Das sind doch keine Marionettenpuppen, die im Licht charakteristische Gesichter haben. Der Schnitzer hat viel zuviel daran herumgeschnipselt, um sie den lebenden
Vorbildern ähnlich zu machen. Ein Marionettentheater ist aber kein Wachsfigurenkabinett. Die Puppen, die Krescho macht, sind viel, viel besser.«
»Und wofür willst du diese Puppen an der Wand dann
haben?«
»Zur Erinnerung an meine zweite Begegnung mit dem
Baron«, sagte Timm, »und als lehrreiche Beispiele dafür, wie man Marionettenpuppen auf keinen Fall schnitzen soll.«
»Meinst du, die Puppen kommen vom Baron?« fragte ich.
Timm nickte und sagte: »Mit allergrößter
Wahrscheinlichkeit.« Dann kam Pantalone wieder an unseren Tisch, und Timm besprach mit ihm im venezianischen Dialekt den Puppentausch.
Nach dem Essen, das mit Früchten abgeschlossen wurde, bestieg Timm am Markusplatz einen Dampfer, um die Puppen aus seinem Bungalow zu holen, während ich ins Hotel ging und Briefe schrieb.
Erst spät am Abend kam Timm nach Venedig zurück und
zu mir ins Hotel. Er trug ein längliches Paket unter dem Arm, das er vorsichtig auf das Sofa legte.
»Sind das die beiden Marionettenpuppen?« fragte ich.
»Ja«, sagte Timm. »Ich zeige sie dir später. Erst muß ich etwas essen. Nach Seefahrten habe ich immer Hunger.«
So gingen wir zur nächsten Dampferanlegestelle an den Canal Grande, ließen uns bis zur Rialtobrücke fahren und setzten uns neben der Brücke an einen der Tische am
Kanalufer. Die Kugellampen, unter denen wir saßen,
spiegelten sich im Wasser und verzogen sich zu Ovalen, wenn eine Welle an das Ufer lief.
Als wir hier, beim Anblick lichtergeschmückter Gondeln, gegessen hatten und noch ein bißchen Wein tranken, kam jemand aus dem Halbdunkel an unseren Tisch und sagte:
»Entschuldigen Sie.«
Es war der lange Egon Siebert mit dem großen Kehlkopf.
»Entschuldigen Sie«, sagte er, »ich suche den Baron. Sie kennen ihn doch, meine Herren, nicht wahr? Sie begrüßten ihn ja heute morgen.«
»Mehr oder weniger kenne ich ihn«, antwortete Timm.
»Aber setzen Sie sich doch zu uns, Herr Siebert.«
»Wenn ich darf…« Herr Siebert, der seine unförmige
Aktentasche diesmal nicht dabei hatte, katzbuckelte erst ein bißchen, ließ sich dann aber auf einen Stuhl an unserem Tisch nieder.
»Dürfen wir wissen«, fragte Timm nun, während er für Herrn Siebert eines der vielen Gläser auf dem Tisch mit Wein füllte, »dürfen wir wissen, weshalb Sie den Baron suchen?«
»Oh«, sagte Herr Siebert. »Das ist kein Geheimnis. Unsere Bankengruppe will eine Werbeaktion starten: Gewinn schafft Fortschritt. Falls sich die Gruppe des Barons der Werbung anschließt, dann könnten wir weltweit mit dieser Losung werben.«
»Glauben Sie denn, daß Gewinn Fortschritt schafft?« fragte
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