Timm Thalers Puppen
Egon
Siebert.
»Ich denke, Herr Siebert, daß die von Ihrer Bankengruppe geprägte Losung »Gewinn schafft Fortschritt« weltweit nützlich sein wird, um unseren Handel zu beleben, der unter der Kaufunlust so vieler Menschen leiden muß.«
»Leidet nicht umgekehrt die Menschheit an der Kauflust-
Überreizung? « fragte Timm. »Sich jedesmal ein Wegwerf zeit zu kaufen, wenn man ein bißchen Picknick machen will, das kommt am Ende teuer zu stehen, Baron. Ein einmal gekauftes, aber festes Zelt kommt billiger. Hat man’s geerbt, dann ist es sogar gratis.«
Die Gondelgruppe auf dem Canal Grande, jetzt schräg vor uns, löste sich wieder auf in einzelne Gondeln. Die Lichter schwärmten schwankend auseinander, und der Baron, darauf hinblickend, sagte: »Läßt man ewig und immer alles
beieinander und an Ort und Stelle, Herr Thaler, die Bäume im Wald, Großvaters Zeltbahn auf dem Speicher, dann würde es fast keinen Fortschritt geben. Was meinen Sie, Herr Siebert?«
Der Baron wandte sich dem langen Bankmenschen zu, der sichtlich verlegen wurde und mit leichtem Stottern sagte: »Ich selber zelte t… tatsächlich mit einem Z… Zelt, das ich von meinem V… vater habe.«
»Pech gehabt«, sagte der Baron, während Timm und ich lachten. Dann stand er auf und bot Herrn Siebert an, ihn in sein Hotel zu begleiten, was Egon Siebert vollends stottern machte. »Ich k… kann doch von H… herrn Baron nicht ver…
langen, daß H… herr Baron…«
Hier unterbrach ihn der Baron, indem er sagte: »Gehen wir!« Und Egon Siebert, vor Verlegenheit noch viel gebeugter als gewöhnlich, stotterte einen Abschiedsgruß für Timm und mich und ging mit dem Baron davon, der uns sein übliches
»Empfehle mich« zurief.
Nun bezahlten wir das Abendessen, riefen eine der Gondeln heran, die sich vom Pulk gelöst hatte und gerade an uns vorbeiglitt, und ließen uns vom Gondoliere zum Brückchen vor der Moseskirche bringen. Als wir dabei in den Seitenkanal hineinfuhren, den man den Fluß des heiligen Moses nennt, war es so still zwischen den Häuserwänden, daß selbst die leisen Ruderschläge als Echo von den Wänden widerhallten.
In meinem Hotel, in dem auch Timm ein Zimmer
bekommen hatte, sah ich dann endlich die zwei
Marionettenpuppen, die Timm am nächsten Tag zum alten Marinetti tragen wollte, um damit Pantalones Puppen wieder einzulösen.
Es waren zwei sehr altmodisch gekleidete Puppen, die aussahen wie Puppen der Commedia dell’arte, die aber nicht zu den Figuren dieser Komödie gehörten. Timm hatte sie in meinem Vorzimmer aus dem Papier gewickelt und hielt sie mir mit beiden Händen hin. Als die Gesichter dabei in das Licht der Stehlampe gerieten, stieß ich einen kleinen Schrei aus, und Timm sagte: »Nicht wahr, das ist überraschend? Die Puppen stammen nämlich aus dem Jahre
fünfzehnhundertsechsundvierzig.«
»Aber wie kann das sein, Timm?« fragte ich und stotterte beinahe wie Herr Siebert.
Die Puppen hatten nämlich die Gesichter des Barons und Timms, als er ein Junge gewesen war.
Timm gab auf meine Frage keine Antwort. Statt dessen murmelte er, mehr für sich als für mich: »So geht das Spiel schon seit Jahrhunderten.« Dann packte er die Puppen wieder ein.
Ich fragte dabei: »Woher hast du diese Puppen?«
»In einem alten Puppentheater in Verona lagen sie in einer Kiste. Ich konnte sie für wenig Geld erwerben.«
»Und diese Puppen willst du weggeben?«
»Nach mir erwirbt sie sicher der Baron«, sagte Timm
Thaler. »So bleiben sie in der Familie.«
Timm hatte die Puppen wieder eingewickelt, und nun sah ich auf dem Papier, in dem sie staken, etwas Geschriebenes.
Es sah aus, als wären es Verse.
»Gehört der Text auf dem Papier zu den zwei Puppen?«
fragte ich.
Timm stutze und fragte: »Welcher Text?« Dann aber
verstand er, was ich meinte, lachte und erklärte mir: »Weißt du, bei der Rückkehr mit dem Dampfer nach Venedig, als ich dieses Paket auf dem Schoß hatte, dachte ich über
Wegwerfgeld und Wegwerfzelte nach und fragte mich, warum es eigentlich nicht Wegwerfmenschen geben sollte. Da habe ich Verse über einen Wegwerf menschen gemacht und sie auf das Paketpapier geschrieben. Willst du sie hören?«
»Gern«, sagte ich.
Da ließ sich Timm aufs Sofa nieder und las mir vor:
Der Wegwerfmensch
Brauchst du einen Wegwerfmenschen,
Wird er dir für wenig Geld
Bei der Inter-Abendländschen
Handelsunion bestellt.
Dieser Wegwerfmensch knackt Mandeln,
Macht das Frühstück und das Bett
Und ist
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