Timm Thalers Puppen
Gott! Aber lassen Sie sich in der Betrachtung des Bildes nicht weiter stören. Empfehle mich, meine Herren, empfehle mich!«
Mit staksigen Schritten ging er in einen Nebensaal, und ich fragte Timm Thaler, während wir ihm nachsahen: »Ist das vielleicht…?«
Timm antwortete: »Ich weiß es diesmal nicht genau.«
»Planst du ein Stück, oder hast du eine Geschichte zu erzählen, die mit einer Bank zu tun hat?« fragte ich.
»Die Kuks-Geschichte«, sagte Timm. »Aber die habe ich ja gestern schon erzählt.« Dann schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn und sagte: »Halt, da ist noch eine andere Bankgeschichte. Sie heißt: Das Wegwerfgeld.«
»Dann wollen wir mal abwarten, ob Herr Siebert ein
Interesse daran hat, Timm.«
Wir trafen Egon Siebert noch einige Male bei unserem Gang durch die Bildersäle. Jedesmal grüßte er mit einem tiefen Kopfnicken. Auch als wir die Galerie verließen, trafen wir Herrn Siebert wieder auf der Treppe. Dann sahen wir einstweilen nichts mehr von ihm.
Timm und ich wanderten nun über die Brücke der
Akademie zur anderen Seite des Canal Grande, verliefen uns hier in den engen Gassen und fanden uns plötzlich wieder vor der Kirche Santa Maria della Salute mit dem großen
Kuppeldach vorn und mit der breiten Treppe, die im
Sonnenschein zum Sitzen einlud.
Wir ließen uns auf den einladenden Stufen nieder, auf denen verteilt schon ein paar junge Leute saßen und sich sonnten.
Die Vaporetti, die kleinen Dampfer, die man anstelle von Bussen in Venedig benutzt, fuhren vor uns auf dem Canal Grande fleißig auf und ab, mal auf unserer Seite des Kanals anlegend, mal auf der anderen. Zwischen ihnen sahen wir einige Gondeln, dazu Motorboote aus glänzend poliertem Holz, die alle anderen Wasserfahrzeuge schaumquirlend überholten.
»Wie wär’s, wenn du mir hier die Geschichte vom
Wegwerfgeld erzählst?« fragte ich Timm. »Wer ein Interesse daran hat, sie mitzuhören, wird sich schon einfinden.«
»Das Gefühl habe ich auch«, sagte Timm. »Also hör zu.«
Er lehnte sich mit den Ellenbogen auf die Stufe hinter sich zurück und erzählte mir die Geschichte:
Das Wegwerfgeld
oder
Wer den Pfennig nicht ehrt, ist für andre was wert In den Tagen des Wohlstands führte der Kleingeldmangel in Italien dazu, daß Sparkassen und Banken Gutscheine
ausgaben, die Münzen ersetzen sollten.
Nun sah einmal ein Bankbesitzer in Venedig, als er beim Heimweg an einem kleinen Markt vorbeikam, wie eine
Obstfrau ihre Tageseinnahme zählte und hin und wieder einen Gutschein wegwarf. Der Bankbesitzer, von Beruf mit Geld befaßt, rief aus: »Aber Signora, Sie werfen gutes Geld in den Papierkorb!«
»Gutes Geld?« fragte die Obstfrau und lachte. »Nein, Signore, was ich hier wegwerfe, sind nur noch Fetzen. Man traut sich kaum, sie anzufassen. Für den, der mir so etwas gibt, erhöhe ich einfach den Preis.«
»Aber die Bank, die diese Gutscheine ausstellte«, sagte der Bankbesitzer, »gibt Ihnen jederzeit dafür den Gegenwert in bar.«
»Soll ich für die paar Lire, die diese Fetzen wert sind, nach Neapel, Rom oder Bergamo reisen?« fragte die Obstfrau.
»Daher kommen nämlich die am meisten zerfetzten Scheine, Signore.«
Der Bankbesitzer wollte nun erklären, daß man zum
Einlösen der Gutscheine weder nach Rom noch nach Neapel reisen müsse, doch unterließ er es,- denn gerade als er den Mund aufmachen wollte, warf die Obstfrau wieder einen Gutschein weg. Da schwieg er, schüttelte den Kopf und ging nach Haus.
Nun ist es aber, wie man weiß, die Aufgabe der Banken, mit ihrem Kundengeld zu »arbeiten«, wie sie es nennen, also aus Geld mehr Geld zu machen. Der Bankbesitzer (wir wollen ihn aus guten Gründen nicht beim Namen nennen) war ständig am Überlegen, wie er aus Geld noch mehr Geld machen könne. Er unterhielt sich oft sogar mit seiner Tochter Fulvia darüber; denn schlichte Einfalt sieht oft mehr als die Gerissenheit, die sich in ihren eigenen Schlingen fängt, sagte er sich.
So sprach er auch mit Fulvia über den Fall der Obstfrau.
Fulvia lachte darüber. Dann aber legte sie, zum Zeichen, daß sie nachdachte, den Kopf schräg und sagte nach einer kleinen Weile: »An diesem Wegwerfgeld, Papa, kann man verdienen.«
»Und wie, mein Kind?« fragte der Vater.
»Indem man«, sagte Fulvia, »die Gutscheine auf ein Papier druckt, das sehr schnell kaputtgeht.«
»Und was hätte ich davon?« fragte der Vater.
Fulvia legte ihren Kopf noch schräger und dachte wieder nach. Dann sagte
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