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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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»
    Amico Timm, hast du die Puppen?«
    Timm gab dem Wirt die beiden Plastiktüten, und nun war Pantalone für eine Weile beschäftigt: Er nahm die Puppen des Barons von den Haken an der Wand, legte sie vorsichtig auf unseren Tisch und hängte seine alten Puppen wieder auf.
    Dabei plapperte er unaufhörlich, aber ich verstand kein Wort; denn er plapperte venezianisch.
    Dann, als Timm die Puppen des Barons zur Hand nahm, um jetzt die Plastiktüten mit ihnen zu füllen, geschah wieder etwas Seltsames: Sobald Timm eine Puppe in der Hand hielt, veränderte sich fast unmerklich, aber stetig das Gesicht, bis es die Züge des Barons angenommen hatte. Nur die Puppe, die Egon Siebert aus Dortmund darstellte, veränderte ihre Züge nicht.
    Als ich Timm überrascht anschaute, lächelte er, wies mit dem Kopf auf Krescho, der Pantalone half, die alten Puppen wieder aufzuhängen, und legte einen Finger auf die Lippen.
    Ich nickte stumm. Dann war die letzte Puppe im
    Plastikbeutel verschwunden, und Krescho hatte nichts gemerkt.
    Nach dem Essen, das wir an diesem Tag gratis bekamen, schlenderten wir zu dritt über den von Menschen wimmelnden Markusplatz ins Hotel »Saturnia«, ließen die schwarze Aktentasche in den Safe einschließen und legten die
    Plastiktüten mit den Puppen in mein Zimmer, da Timm sein Zimmer nur für eine Nacht gemietet hatte.
    Danach gingen wir, um Leute zu begucken und Kaffee zu trinken, langsam zum Markusplatz zurück. Dabei hörten wir, als wir uns der Moseskirche näherten, Musik von Stimmen und Instrumenten.
    Timm sagte: »Das ist Mozart. Eine Messe von ihm. Hören wir zu?«
    Ich sagte: »Gern«, und Krescho fragte: »Warum nicht?« So überschritten wir auf dem Brückchen den Fluß des heiligen Moses und gingen zur Kirche, wo Timm und Krescho vor mir in die mittlere Tür eintraten.
    Gerade wollte ich den beiden folgen, als ich zur Rechten, wo ein Bretterzaun die Nebentür verdeckte, Stimmen hörte, Stimmen, die ich zu kennen glaubte. So folgte ich den beiden nicht, sondern ging auf Zehenspitzen zu dem Zaun und lugte in eine Lücke zwischen zwei Brettern hinein.
    Jetzt hörte ich die Stimmen deutlicher, und ich wußte auch, von wem sie kamen,- denn durch die Bretterlücke sah ich, wer da redete: Es waren Signore Grandizzi und der Baron.
    »…zum Schluß auch etwas Dankbarkeit erwarten«, zischte der Baron gerade mit wütender Miene. »Wem verdanken Sie denn dieses immer noch junge Gesicht?«
    »Und wem, Baron«, fragte Signore Grandizzi beherrscht, doch mit zitternder Stimme, »wem verdanke ich dieses Leben ohne Boden, das ewige Hin und Her, das wurzellose Treiben?
    Wen hab ich denn, zu dem ich lieb sein kann? Was hab ich denn zu uneigennütziger Freude?«
    Der Baron wollte, so schien mir, scharf antworten, denn er zog scharf den Atem ein; aber die Arbeiter des Baus kamen zurück von ihrer Mittagspause, von der Siesta. So schwieg er und verzog sich mit Grandizzi. Ich konnte gerade noch in die Kirche huschen, bevor die zwei mich beim Herauskommen aus der Zauntür hätten sehen können.
    Die Kirche war voller Menschen. Viele saßen, die meisten standen. Ich sah Jugend in Blue jeans und einige Damen, die lange Kleider trugen.
    » Mozart verkraftet beides «, dachte ich und verschränkte die Arme über der Brust, um der Musik zu lauschen.
    Aber ich kam nicht dazu. Jemand stieß mich an. Es war Timm. Als ich mich mit fragend erhobenen Augenbrauen zu ihm umdrehte, legte er einen Finger auf die Lippen und deutete mit dem Kopf zur Tür.
    Also verließ ich mit ihm die Kirche wieder, die ich gerade betreten hatte, und Krescho folgte uns.
    »Gehen wir weiter«, sagte Timm Thaler draußen, »damit wir nicht stören.« Er zog mich förmlich, an der geschlossenen linken Tür der Kirche vorbei, in die Gasse hinein, bog ab nach rechts und sagte, als die Musik nur noch gedämpft zu hören war, beinahe feierlich: »In dieser Kirche liegt John Law begraben. Ich habe soeben seinen Grabstein gesehen.«
    »Und deshalb hast du mich aus der Kirche gezerrt?« fragte ich. »Wer ist das überhaupt: John Law?«
    »John Law«, sagte Timm, während wir langsam
    weitergingen und Krescho seinen Vater so gespannt ansah wie ich, »John Law, Boy, war ein Schotte, den einst ein Herzog von Orleans nach Frankreich holte, um das am Gelde
    krankende Land zu retten.«
    »Und hat er es gerettet?« fragte Krescho.
    »Ja«, sagte Timm, nach rechts hin nickend, wo Padre
    Ambrosio sich gegen uns verbeugte. »Ja, dieser John Law hat Frankreich für

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