Timm Thalers Puppen
»Für das bißchen, was in Stomabals drinsteckt, ist es tatsächlich sehr, sehr teuer.«
»Siehst du.« Barnabas wandte sich nun wieder seiner
Schwester zu: »Hast du Lust, in den Ferien ein bißchen durch Europa zu gondeln und Detektivin zu spielen?«
»Welches junge Mädchen hätte dazu keine Lust?« fragte die Mutter. »Aber Margaret ist erst fünfzehn, Barnabas. Und unterwegs kann viel passieren.«
»Mir?« fragte mit jetzt rotem Kopf die angehende
Detektivin. »Wenn ich nicht selbst aufpassen kann auf mich, dann möcht ich wissen, wer.«
Doch ihrem Bruder war bei dem Gedanken an ihre fünfzehn Jahre auch nicht wohl. So sagte er: »Dann reisen wir zusammen. Kommst du allein mit der Apotheke zurecht, Mama?«
»Ich hoff es, Barnabas.«
Die Mutter seufzte, Margaret strahlte, und Barnabas ging ans Telefon, um einen ihm befreundeten Automechaniker anzurufen. Dem sagte er, bis übermorgen müsse sein Wagen überholt und tipptopp für eine längere Reise sein.
Zwei Tage später fuhr ein Auto über den Rhein und zu dem kleinen Ort Cherville in Frankreich, in dem es die
Arzneimittelfabrik Allange gab.
Da es ein Sonntag war, war die Fabrik geschlossen.
Margaret und Barni fuhren daher zum Privathaus der Besitzer.
Es war ein Schloß.
Ein hoher weißlackierter schmiedeeiserner Zaun umgab den Besitz der Familie Allange. Neben dem Eingangstor, das geschlossen war, stand ein stattliches Pförtnerhaus mit Blumen vor den Fenstern, und aus einem dieser Fenster guckte – ein Mondgesicht mit kleinem Schnurrbart – der Pförtner heraus, dem Barni seine Visitenkarte überreichte.
Der Pförtner verschwand mit dem Kärtchen im Innern des Hauses, erschien aber gleich darauf hinter dem Haus auf dem breiten Kiesweg wieder, der zum Schloßeingang führte.
Barni, der ihm nachguckte, sagte: »Daß man mit Arznei viel Geld verdienen kann, habe ich immer schon gewußt. Aber daß man damit ein solches Schloß in vollem Betrieb erhalten kann, das ist mir neu.«
Wenig später kam der Pförtner mit Barnis eigener
Visitenkarte wieder. Auf die Rückseite war in französisch gekritzelt: »Apothekerbesuche montags bis freitags von 11.00
bis 13.00 Uhr.«
Barnie wollte, als er die Notiz gelesen hatte, einen Fluch loslassen; aber Margaret stieß ihn heimlich mit dem Fuß an und fragte den Pförtner in nicht sehr gutem, aber
verständlichem Französisch: »In welche Diskothek geht Maude gewöhnlich, Monsieur Concierge?«
»Claude?« Der Pförtner überlegte kurz. »Ich glaube, er geht am liebsten in die »Rote Katze«.«
»Merci, Monsieur Concierge.« Margaret deutete einen
Knicks an und stieg dann mit Barni wieder in das Auto ein. Sie fuhren zurück in den Ort. Dabei fragte Barni: »Maude oder Claude: Wer ist denn das?«
»Wahrscheinlich ist es der Allange-Sohn«, sagte Margaret.
»Ich hab nämlich hinten aus dem Schloßgarten einen Namen rufen hören. Ich habe Maude verstanden. Aber jetzt wissen wir, daß es sich um einen Claude handelt, der in der ›Roten Katze‹ verkehrt. Und zur ›Roten Katze‹ werden wir uns heute abend begeben.«
»Wozu?« fragte Barni.
»Laß dich überraschen«, sagte Margaret.
Am Abend saßen beide in der »Roten Katze«, Barni in
einem Bluejeans-Anzug, Margaret in einem in der Taille enganliegenden, unten glockenförmigen, langen Kleid mit Trägern über den Schultern, das sie älter aussehen ließ, als sie war. Die Musik war sehr laut aufgedreht, und über der runden Tanzfläche wechselte beständig das Licht.
Da Barni ein Student gewesen war, der immer nur studiert hatte, war diese Welt ihm fremd, in der sich seine Schwester so vertraut bewegte. Sie tanzte immerzu mit lockeren Hüften, und Barni stellte fest, daß er überm Studieren und
Philosophieren vergessen hatte, das Tanzen zu lernen.
Natürlich war ihm die Musik zu laut, und die Bewegungen der Tanzenden fand er ein bißchen unanständig. Als er aber aus einem großen flachen Glas, einer Art Schale mit Stiel, etwas Rosafarbenes getrunken hatte, das süß und scharf schmeckte, fing er sogar selbst zu tanzen an, und später, als Margaret einen hübschen jungen Mann namens Claude
Allange an ihren Tisch brachte, besprach Barni mit diesem Claude ausführlich die Veränderung der Welt und die
Verstaatlichung aller Arzneimittelfabriken sowie sämtlicher Apotheken.
Gegen vier Uhr morgens tanzten die drei Arm in Arm –
Vorwärtsschritt, Wechselschritt, Vorwärtsschritt,
Wechselschritt – in das Hotel, in dem Barni und Margaret
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