Timm Thalers Puppen
Hausjacke wie der alte Marinetti, doch war sie besser geschnitten und aus schwerer Seide. Er setzte sich als letzter und sagte, während er uns Kaffee einschenkte: »Ich habe mich inzwischen ein bißchen orientiert über
Zusammenhänge zwischen Handel und Republikanertum, Herr Thaler.«
»Und was haben Sie herausbekommen?«fragte Timm.
»Der Handel, habe ich festgestellt, ist von Natur
republikanisch. Als euer Martin Luther sich mit unserem Papst herumstritt, verdiente das Handelshaus der Fugger nach beiden Seiten: Für unseren Papst nahm es die Ablaßgelder ein; und Fürsten, die auf Seiten eures Martin Luther standen, hat es finanziert. Es war republikanisch offen für jedermann.«
»Nur um Gewinn zu machen, nicht aus Überzeugung«,
sagte Timm, wobei ihn der Baron unwillig ansah.
Fausto Cantrini aber winkte ab. »Wer Händler wird, muß sich nach allen Seiten orientieren können«, sagte er. »Er bringt den Sinn für alle Seiten mit. Bevor er handelt, ist er schon republikanisch. Irgendwie ist der Händler ja auch Abenteurer.
Und wer denkt freier als ein Abenteurer? Sindbad der Seefahrer und Marco Polo waren Handelsleute: Sie gingen ein großes Risiko ein und hatten großen Gewinn.«
»Und heute gibt’s auch große Gewinne ohne Abenteuer«, sagte Timm. »Ich kenne da eine Geschichte…«
»… die Sie uns unbedingt erzählen wollen«, sagte der Baron.
»Nicht unbedingt, Baron«, gab Timm zur Antwort. »Sie ist aber erzählenswert, wenn man von Handel und Gewinnen spricht.«
»Dann bitte ich Sie, uns die Geschichte zu erzählen«, sagte Fausto Cantrini, und Krescho und ich schlossen uns seiner Bitte an.
Nun seufzte, nicht sehr laut, aber vernehmlich, der Baron; Timm Thaler aber lächelte, setzte sich so bequem, wie es ihm möglich war, in seinem gotischen Stuhl zurecht und erzählte uns die Geschichte:
Der lange Weg nach Wied am Bach
oder
Sei klug und weise, erhöh die Preise
In den Tagen des Wohlstands wurde die Apotheke »Zur
goldenen Kugel« in Wied am Bach, die seit drei Generationen im Besitze der Familie Kügler war, von Barnabas Kügler, benannt Barni, geleitet, der schon, bevor es im westlichen Deutschland Mode wurde, ein sogenannter Linker war. Am liebsten hätte er die ganze Welt von Montag auf Dienstag umgekrempelt und alles, einschließlich der Apotheken, zum Eigentum aller gemacht.
Barni lebte zusammen mit seiner Mutter und seiner
Schwester Margaret, die fünfzehn war, in einer Wohnung oberhalb der Apotheke. Sein Vater war tot. Seine Mutter, die seine Ideen für ein bißchen überspannt hielt, hatte ihm die Leitung der Apotheke übertragen, damit die Arbeit »seinen linken Eifer dämpfe«, wie sie sagte. Seine Schwester Margaret war eine Jüngerin des Fernsehens. Sie wollte Detektivin werden.
Eines Tages, als Sohn und Mutter sich über die schon sprichwörtlich gewordenen Apothekerpreise stritten, die Barnabas für Wucher hielt, die Mutter aber für gewissermaßen gottgegeben, ließ Barni seinen Löffel klirrend in den Suppenteller fallen, rannte zur Tür, wollte hinauslaufen, blieb aber plötzlich stehen, drehte sich wieder um und fragte mit ruhiger Stimme seine Schwester: »Wann sind die nächsten Ferien?«
»Übermorgen fangen die Sommerferien an«, antwortete, ein bißchen erstaunt, seine Schwester.
»Dann, Mama«, sagte der junge Mann und wandte sich
seiner Mutter zu, »schlag ich dir vor, wir schicken Margaret auf die Reise.«
Die Mutter, die sich bei Streitgesprächen immer ruhig hielt, deren Hände aber zitterten, fragte: »Auf was für eine Reise, Barnabas?«
»Da deine Tochter Detektivin werden will…« Bei dem
Wort »Detektivin« zuckten die Hände der Mutter. »Da deine Tochter Detektivin werden will, schenk ich ihr eine
Ferienreise, damit sie herausbringt, was irgendein beliebiges Medikament, zum Beispiel Stomabals, in der Herstellung wirklich kostet. Wir streiten uns nämlich, Mama…«, er sprach mit sehr versöhnlicher Stimme, »… als säßen wir an einem Stammtisch, an dem man über Sachen spricht, von denen man nichts weiß. Laß uns das mal ein bißchen untersuchen. Was ist zum Beispiel drin in Stomabals?«
»In einer Packung Stomabals?« Die Mutter dachte nach und murmelte: »Null Komma elf Gramm Sacharinsodcarbonat, null Komma zehn Gramm…« Sie murmelte einen
unverständlichen Namen. »Und hundert Kubikzentimeter Bindemittel.«
»Und wieviel kostet das?« fragte der Sohn.
Die Mutter zögerte. Dann sagte sie, ohne eine direkte Antwort zu geben:
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