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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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zurück, das heilt.«
    Der Baron erhob sich verärgert. »Wenn es nach Ihnen
    ginge, Herr Thaler«, sagte er, »dann käme auf dieser Erde wahrscheinlich nichts Vernünftiges zustande.«
    »Aber vielleicht etwas ganz reizend Unvernünftiges«, meinte Fausto Cantrini und erhob sich ebenfalls.
    Da standen auch Krescho und ich auf, und während wir langsam zur Tür gingen, sagte der Baron mit merkwürdig hoher Stimme:
    »Vernünftiges ist niemals reizend.«
    Dann verbeugte er sich gegen uns alle, sagte zu Fausto Cantrini: »Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, Fürst«, sagte uns übrigen »empfehle mich« und war auch schon verschwunden.
    »Jetzt hat er mich schon wieder gefürstet«, seufzte Fausto Cantrini, »wo ich doch wirklich ein Republikaner bin. Darf ich Sie heimfahren, meine Herren?«
    In einer feinen kleinen Barkasse, die sicher sehr viel Geld gekostet hatte, fuhr Fausto Cantrini uns den Canal Grande hinunter. Bei dieser Fahrt erfuhr ich, daß wir von dem Baron am folgenden Tage eingeladen waren, mit seiner Yacht die Adria zu durchfahren.
    »Komm mit zu unserem Bungalow«, sagte Timm zu mir.
    »Dann ersparst du dir morgen die Reise zu uns hinunter.«
    Ich sagte zu, und so fuhr uns Fausto Cantrini in hoher Geschwindigkeit und mit laut schäumendem Heckwasser
    durch die Lagune und dann durchs Adriatische Meer hinunter zu dem Badeort, in dem sich Timm und Krescho eingemietet hatten. Hier begleitete er uns bis zu dem Bungalow, trank noch ein wenig Wein mit uns und sagte, als er ging (es war schon dunkel): »So möchte ich auch leben – ohne Palazzo und Vergangenheit.«
    »Auch ich, Fürst«, sagte Timm, den unerwünschten Titel betonend, »auch ich, Fürst, habe eine Vergangenheit.«
    »Aber keine so lange, Herr Thaler, keine so schwere.«
    Fausto Cantrini seufzte. »Ah, diese Schwere der
    Vergangenheit. Ich wäre am liebsten ein Vogel.« Dann ging er.
    In dieser Nacht im Bungalow träumte mir von Grüften und von dunklen Sälen, von Grotten und von Spiegelkabinetten, bis mich ein lautes Lachen weckte und ich bemerkte, daß im Nebenzimmer Licht anging.
    »Was ist los, Krescho?« hörte ich Timm fragen.
    Krescho antwortete, noch schlaftrunken: »Ich hab geträumt, ich saß in einer Gondel und fuhr an dem Palazzo Cantrini vorbei. Da sah ich einen Vogel mit goldener Brust, einen ganz kleinen Vogel. Der flog hinauf auf den Palast und setzte sich aufs Dach. Und da brach unter ihm der ganze Palazzo
    zusammen. Das war so komisch, daß ich lachen mußte.«
    »Das ist ja auch zum Lachen«, sagte Timm. »Aber schlafen wir weiter.«
    Das Licht ging wieder aus, und ich schlief lächelnd wieder ein. Diesmal träumte mir von der Yacht, die wir am nächsten Tag besteigen sollten. Sie war verpackt in einen riesengroßen glänzenden Karton aus durchsichtiger Folie und trug in Gold die Inschrift: NUR FÜR DIE, DIE SCHWEIGEN KÖNNEN.
    Mir war, als ich das las, sehr unbehaglich zumute.

    DER SECHSUNDSECHZIGSTE TAG, AN DEM WIR MIT DER
    YACHT DES BARONS DIE ADRIA ÜBERQUEREN, AUF EINER
    LEUCHTTURMINSEL AN DER ISTRISCHEN KÜSTE FESTLICH
    TAFELN, ZURÜCKFAHREN ANS ENDE DER LAGUNE NACH
    CHIOGGIA UND HIER EINER VON TIMM ERZÄHLTEN
    DIEBSTAHLGESCHICHTE LAUSCHEN. TEILT MIT, DASS WIR
    zu ABEND AUF DER YACHT ESSEN, DASS WIR UNS
    SCHLIESSLICH TRENNEN UND DASS DER BARON FÜR MICH
    NOCH EINMAL ALLE SEINE PUPPEN TANZEN LÄSST, DIE
    BALD
    TIMM
    THALERS
    MARIONETTENPUPPEN SEIN

WERDEN.

    Als ich am folgenden Tag mit Timm die Promenade
    entlangging – Krescho war uns zur Yacht vorausgelaufen –
    fragte ich: »Was bezweckt der Baron mit dieser Einladung auf seine Yacht wohl? Denn er bezweckt doch immer irgend etwas.«
    »Sicherlich bezweckt er etwas damit«, sagte Timm. »Und ich ahne auch, was. Er will mich wieder an sich binden, wie er den kleinen Jungen damals an sich band, dem er das Lachen abgenommen hatte. Er hat das Maskenspiel jetzt satt. Er will wieder die sogenannte ›nackte Wirklichkeit‹ – oder was er dafür hält.«
    Während wir an dem kleinen runden Pavillon vorbeigingen, in dem ich mit Timm am ersten Tag unserer Wiederbegegnung gegessen hatte, am Pavillon, der jetzt, am frühen Morgen, noch geschlossen war, sagte ich: »Ein seltsamer Mann, dieser Baron. Aber weißt du: Als du mir zum erstenmal von ihm erzählt hast, in jenem Korrektorenzimmer der Druckerei zu Leipzig, da hatte er für mich etwas Geheimnisvolles. Jetzt, da ich ihn persönlich kenne… «
    »Das ist gewöhnlich so«, unterbrach mich Timm.
    »Geheimnisvoll ist

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