Timm Thalers Puppen
Als ob die mich nicht nötig hätten.« Er stand vom Tisch auf, sagte, mühsam beherrscht, wir möchten in Ruhe weiterfrühstücken, und kletterte an Deck.
»Was hat er denn?« fragte Krescho, als der Baron
verschwunden war.
»Er haßt die Menschen, die sich seiner Macht entziehen«, sagte Timm. »Vor allem aber haßt er wunschlos Glückliche.
Er lebt ja davon, daß die Menschen Wünsche haben, immer größere und immer mehr.«
»Das ist aber gar nicht mehr modern«, sagte Krescho.
»Mein Freund Guido gehört zu einer Gruppe, die heißt: Klein ist fein. Sie wollen später alles, was sie essen, selbst anbauen.«
»Hoffen wir, daß es ihnen gelingt«, sagte ich.
Timm, der anscheinend Hunger hatte, denn er bestrich sich nun schon das vierte Brötchen, meinte: »Ob es ihnen gelingt oder nicht, ist gleichgültig. Schon, daß sie aus dem verrückten Karussell der Wünsche aussteigen wollen, finde ich
lobenswert.«
Das Schiff fing jetzt leicht zu vibrieren an. Man hatte die Maschine angeworfen, und wir hörten, wie der Baron an Deck Kommandos gab. Dann gab es einen Ruck, der unser
Frühstücksgeschirr auf dem Tisch ein wenig verrückte, und danach spürten wir, daß wir die Anlegestelle verließen und daß wir hinausfuhren ins offene Meer.
Als wir wenig später an Deck standen, uns wundernd, wie unglaublich schnell die Yacht das Meer durchfuhr, erwies sich wieder, wie seltsam verhaßt dem Baron zufriedene Menschen waren. Es stand nämlich ein wettergegerbter alter Mann am Steuer, mit dem der Baron, der diesmal segelweiß gekleidet war, sich unterhielt.
»Warum«, fragte der Baron, »liegt Ihnen nichts an einer festen Stellung? Dann haben Sie doch eine Sicherheit für sich und für Ihre Familie.«
»Familie hab ich sozusagen keine mehr«, sagte der alte Mann. »Meine Frau ist tot und meine Tochter in Sizilien verheiratet.«
»Und wie und was verdienen Sie?« fragte der Baron.
»Wenn’s nötig ist, gibt’s immer etwas zu verdienen, Herr Baron«, sagte der Alte, »zum Beispiel so wie heute auf der Yacht. Und wenn die große Hitze kommt, dann hab ich immer einen Baum, der Schatten gibt, und kühles Wasser aus einer Zisterne.«
»Schatten und Wasser?« Der Baron starrte den Alten an, wie man ein seltenes Tier anstarrt. »Haben Sie denn keinerlei Besitz?«
Jetzt lachte der Alte so, daß sein Gesicht nur noch aus Falten bestand. »Besitz?« fragte er dann. »Besitz ist Ballast, Herr Baron. Ich kenne einen alten Vers darüber. Den hat mein Großvater mir beigebracht.« Der Alte zitierte, während er auf das nun schon strahlend blaue Meer blickte und manchmal am Steuer ein wenig den Kurs korrigierte:
»Ein Mann vom Lande erbte plötzlich
Von einem Onkel in der Stadt
Kostbare Sachen, unersetzlich,
Wie man sie in der Stadt so hat.
Der Mann, einst munter, sieht jetzt kläglich
Hohlwangig aus und ganz verhaucht.
Er ängstigt sich und zittert täglich
Um den Besitz, den er nicht braucht.«
»Mann, was für eine falsche Einstellung!« rief der Baron nach dem Vers. »Jeder braucht ein bißchen Besitz. Wenn alle Welt bedürfnislos lebte wie Sie, dann lebten wir ja wie die Tiere.«
»Und die sind vielleicht glücklicher, als es die meisten Menschen sind, Herr Baron.«
»Glücklicher?« schrie der Baron aufgebracht. »Die Tiere glücklicher als Menschen? Ah…«, er warf die rechte Hand verärgert hoch, »… es lohnt nicht, mit Unwissenden zu streiten. Achten Sie auf den Kurs!«
Der Baron drehte sich um, war mit zwei Schritten an der Luke, die ins Innere der Yacht führte, und verschwand unter Deck. Der Alte am Steuer lächelte.
Timm aber sagte: »Genießen wir die Fahrt. Das Leben ist zu kurz, als daß man es sich auch noch unnötig verbittern sollte.«
Wir setzten uns nebeneinander auf das kleine Holzdach über dem Salon und blickten, während der Fahrtwind unsere Haare zauste, aufs Meer hinaus, das glitzerte.
Mir war, als ob wir flögen, so schnell war die Yacht. Sie mußte einen ungewöhnlich starken Motor haben.
Und daß der Motor wirklich stark war, bewies uns die unglaublich kurze Fahrzeit. Schon nach drei Stunden lag vor uns die istrische Küste mit der Stadt Rovinj hinter den ihr vorgelagerten Inseln. Links sahen wir die Altstadt mit ihren Häusern, die sich, dicht an dicht, zur Kirche hinauf schachteln, auf deren Turm die heilige Euphemia steht und ihren Hintern immer dem Winde zudreht. Rechts sahen wir die weißen alten Villen, die noch kein Hotelkasten, so wie heute, überragte.
Als Timm
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