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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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Wand gehörte, wie sie am nächsten Morgen sahen, zu der Arzneimittelfabrik Auclaire. Sie stand in einem Wäldchen und war nicht ummauert. In einem kleinen Verkaufsraum der Fabrik zu ebener Erde konnte, wer wollte, jene heilende Grundsubstanz erwerben, aus der man »Stomabals« und
    andere Arzneien macht.
    Barni verlangte hier, nachdem er sich überflüssigerweise als Apotheker ausgewiesen hatte, ein Kilo jener Grundsubstanz und zahlte dafür knappe hundert Mark. Was er damit zu tun gedachte, wollte niemand wissen.
    »So schnell und billig kriegt man, was am wichtigsten in der Arznei ist«, sagte Barni. »Und um das bißchen
    Drumherum macht man, weiß Gott, was für ein
    geheimnisvolles Getue.«
    »Das Drumherum scheint ein schlechtes Gewissen zu
    haben«, sagte Margaret.
    Bei der Heimfahrt waren die Geschwister noch immer
    verblüfft darüber, daß sie die Heilsubstanz so rasch erhalten hatten, die, in Arzneimittel verbacken, einen so langen Weg nach Wied am Bach zu machen hat.
    »Daß ›Stomabals‹ so teuer ist, liegt offenbar an diesem langen Weg«, sagte Barni.
    »Um wieviel wird die Substanz aus Belgien auf diesem Weg eigentlich verteuert?« fragte Margaret.
    »Mal sehen«, sagte Barni. Sie begannen zu berechnen, wie viele Packungen »Stomabals« aus einem Kilo der Substanz hergestellt werden können, berechneten den Preis dieser Packungen, teilten ihn durch die hundert Mark, die man für ein Kilo der Grundsubstanz bezahlt, und kamen zu einem
    erstaunlichen Ergebnis.
    Dieses Ergebnis teilten sie daheim ihrer Mutter mit. Doch zuvor beschrieben sie ihr den Weg, den »Stomabals« vom ersten Hersteller bis in die Apotheke macht. Sie erzählten ihr von der Fabrik in Billijkhuizen, wo man die Grundsubstanz mühelos kaufen kann; sie beschrieben ihr den bunten
    Andenkendeich von Duurdijk, in dessen Hinterland das Bindemittel zugesetzt wird; sie erzählten ihr von Fräulein Gloor in Bern, deren Firma Räppli die Arznei in Kapseln faßt, und sie berichteten ihr von Claude Allange, in dessen elterlicher Firma man die Kapseln kartoniert.
    »Von dort«, sagte Barni zum Schluß, »geht ›Stomabals‹ zu den Großlieferanten und von den Großlieferanten endlich zu uns in die »Apotheke zur goldenen Kugel«.«
    Die Mutter hatte dem Bericht kopfschüttelnd zugehört. Nun fragte sie: »Was kostet denn in Belgien ein Kilogramm der Masse?«
    »Pro Kilogramm rund hundert Mark.«
    »Du lieber Himmel!« rief die Apothekerin. »Ein ganzes Kilo? Und nur hundert Mark? Da wird ja an dem Endprodukt unglaublich viel verdient!«
    »Ja«, sagte Margaret, »wir haben es ausgerechnet. Die Schachteln ›Stomabals‹, die man aus diesem Kilo machen kann, kosten für unsere Kunden fünfzigtausend Mark,
    fünfhundertmal so viel wie der Grundbestandteil.«
    »Und das teuerste Magenmittel, das man aus diesem Kilo herstellt«, sagte Barni, »das bringt am
    Endehundertvierzigtausend Mark, und das bedeutet: das Eintausendvierhundertfache .«
    »Und muß das sein?« fragte entsetzt die Mutter.
    »Das«, sagte Barni, »werde ich versuchen,
    herauszubekommen. «
    Ob er’s herausbekommen hat, ist nicht bekannt.
    Timm Thaler schwieg, und wir saßen eine Weile
    nachdenklich schweigend da, bis der Baron kopfschüttelnd sagte: »Sie scheinen heute einen schlechten Tag zu haben, Herr Thaler. Warum verleumden Sie die Menschen, die uns Heilung bringen?«
    »Ihr Vorwurf geht an die falsche Adresse, Baron«, sagte Timm. »Ich bin ja nur Berichterstatter. Wer aber spielt denn da mit der Krankheit der Menschen? Wer sucht denn da
    herauszuholen, was herauszuholen ist? Wer schürt die Teuerung denn am falschen Ort?«
    »Aber auch Bindemittel, Kapseln und Verpackungen sind wichtig für Arzneien, Herr Thaler.«
    »Möglicherweise«, sagte Timm. »Aber das Wichtigste in
    ›Stomabals‹ kriegt man für hundert Mark pro Kilo, in großen Mengen sogar billiger. Also wird nur verdient an dem, was für die Heilung überhaupt nicht wichtig ist, und das… «
    »Das ist in Afrika nicht anders«, unterbrach ihn der Baron.
    »Der Zauberer kriegt für seinen Hokuspokus mehr als für das bißchen Kraut, das wirklich heilt.«
    »Und das, Baron, ist ebenso menschenunfreundlich wie jener lange Weg nach Wied am Bach.«
    »Und wollen Sie das ändern?« fragte der Baron.
    »Das ändert sich von selber«, sagte Timm. »Sind alle Menschen blind arzneigläubig, werden die, die Arzneien herstellen, leicht übermütig. Werden sie aber gar zu übermütig, kehrt man zum billigen Kraut

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