Timoken und der Trank der Unsterblichkeit
„Damit werden wir unser Essen bezahlen, wenn uns der Proviant ausgeht“, erklärte sie.
Immer vorausgesetzt, dass wir hier einen ehrenhaften Händler finden, dachte Timoken.
Unter Schwierigkeiten schafften sie es, die Schatzkiste wieder in den Beuteln zu verschnüren. Nur den innersten mussten sie offen lassen, weil Timoken die Riemen zerschnitten hatte.
Nachdem das Gepäck sicher verstaut war, kletterten die Kinder auf Gabars Rücken. Zobayda schlang den Schal um sich und ihren Bruder und knotete die Enden an den Sattel. Timoken zog an den Zügeln und das Kamel erhob sich. Jetzt hing alles von Gabar ab. Er hatte die Wüste schon viele Male durchquert und kannte die gängigen Handelswege. Timoken bat ihn, sie zur nächstgelegenen Siedlung zu bringen.
„Und was wollt ihr dort?“, erkundigte sich Gabar.
Timoken wusste nicht recht, was er antworten sollte. Also fragte er seine Schwester. „Was machen wir eigentlich, wenn wir ein Dorf oder eine Stadt finden?“
Zobayda musste nicht lange nachdenken. „Wenn uns der Ort gefällt, werden wir uns dort niederlassen.“
„Und wenn er uns nicht gefällt?“
„Dann ziehen wir einfach weiter“, erwiderte Zobayda. „Eines Tages werden wir schon ein neues Zuhause finden.“
„Nur keine Mutter und keinen Vater mehr“, murmelte Timoken bedrückt.
Zobayda schwieg einen Moment, dann sagte sie leise: „Es gibt jetzt nur noch dich und mich, Timoken.“
„Und Gabar“, fügte ihr Bruder hinzu.
„Wenn man denn ein Kamel zur Familie zählen kann.“
„Drei sind jedenfalls besser als zwei“, erwiderte Timoken.
Und so begann ihre lange, lange Reise durch die Wüste. Manchmal trafen sie auf Nomaden, die mit ihren Ziegen umherzogen. Die Wüstenbewohner beäugten die Kinder misstrauisch. Was taten sie hier ganz allein mit so einem herausgeputzten Kamel? Doch dann erinnerten sie sich, dass die Wüste voll von ungewöhnlichen Dingen war: Es gab Geisterstimmen, flackernde Lichter oder auch Fata Morganas aus Palmen und Wasser. Und die Nomaden begannen zu lächeln, weil sie glaubten, die Kinder seien von einem Stern gesand t – ein Zeichen, das ihnen Glück brachte.
Eines Nachts, als die Geschwister zwischen ein paar Felsen Unterschlupf gefunden hatten, blickte Timoken zum Himmel empor und sah ein schmales silbernes Licht, das die samtene Dunkelheit zerteilte. „Es ist Neumond!“, rief er aus. „Erinnerst du dich, was unsere Mutter zu uns gesagt hat?“
Zobayda zündete eine Kerze an und durchwühlte das Bündel mit ihren Habseligkeiten. Als sie die Flasche mit dem Elixier gefunden hatte, ließ sie einen Tropfen auf ihren Finger fallen und leckte ihn ab. Dann träufelte sie einen zweiten auf Timokens Finger und er tat es ihr nach.
„Und jetzt Gabar“, sagte Timoken.
Zobayda runzelte die Stirn. „Wieso Gabar?“
„Wer weiß, wie lange die Reise dauern wird. Soll unser Kamel alt werden, bevor wir eine neue Heimat gefunden haben?“
„Aber diese Flüssigkeit ist ungemein kostbar“, entgegnete Zobayda. „Sie sollte nicht für ein Kamel verschwendet werden.“
„Gabar ist auch kostbar“, wandte Timoken ein. Er griff nach der Flasche und ging damit zu dem Kamel hinüber.
Gabar döste vor sich hin. Er öffnete eines seiner großen Augen nur halb, als Timoken sich ihm näherte.
„Gabar, ich möchte etwas auf deine Zunge träufeln“, sagte Timoken.
Das Kamel schwieg. Sein Maul blieb geschlossen.
„Siehst du, er will es nicht einmal!“, rief Zobayda.
Doch Timoken beachtete sie nicht. „Gabar, öffne dein Maul!“, hob er erneut an.
Gabar verlagerte das Gewicht von einem auf das andere Knie. „Warum?“
„Weil ich dir einen kleinen Tropfen einer Flüssigkeit geben möchte, einen winzigen Hauch davo n … nur ein klitzekleines Tröpfchen, ein Pünktchen, wenn man so wil l …“
„Und was ist das für eine Flüssigkeit?“, fragte Gabar.
„Ein Elixier, das dich nicht altern lässt“, antwortete Timoken.
„Ich werde nicht alt“, entgegnete das Kamel seelenruhig. „Es gibt alte Kamele und es gibt junge Kamele. Ich bin ein junges Kamel und werde es immer bleiben.“
Timoken kratzte sich am Kopf. Scheinbar ging so etwas wie das Älterwerden über den Verstand eines Kamels hinaus. „Vielleicht könntest du dein Maul einfach nur für mich öffnen?“, bat er.
Ohne ein weiteres Wort oder auch nur das leiseste Grummeln öffnete Gabar gehorsam das Maul.
Timoken starrte auf die riesigen Zähne, dann neigte er die Flasche und träufelte einen
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