Timoken und der Trank der Unsterblichkeit
Tropfen auf die Zunge des Kamels. Doch weil es dunkel war und seine Hand ein wenig zitterte, fiel plötzlich ein zweites Tröpfchen hinterher.
Am nächsten Tag hatte das Kamel einen auffallend federnden Gang, ansonsten schien das Elixier jedoch keine Nebenwirkungen zu zeigen.
Nach und nach veränderte sich die Umgebung. Die Geschwister hatten kaum bemerkt, dass die öde Wüste hinter ihnen lag und sie nun durch eine Landschaft ritten, in der Grasbüschel und vereinzelt niedrige Sträucher wuchsen.
Als es langsam Abend wurde, entdeckte Timoken ein paar Gebäude am Horizont. Sofort hatten er und Zobayda denselben Gedanken. Könnte das ihr neues Zuhause werden? Sie waren so entsetzlich müde. Ihre Sinne waren von der anstrengenden Reise durch die Wüste getrübt, ihre Augen brannten von der unbarmherzigen Sonne und ihre Glieder schmerzten von den vielen Tagen im Sattel des Kamels. Unwillkürlich mussten sie an die Springbrunnen im verborgenen Königreich denken, an die Fächer aus Federn, mit denen sie sich Luft zufächeln konnten, und an die sanften Hände ihrer Mutter.
Voller Hoffnung lenkte Timoken das Kamel auf die Siedlung zu.
Doch Gabar ließ ein nervöses Knurren vernehmen. „Ich kenne diesen Ort nicht.“
„Wir auch nicht“, erwiderte Timoken. „Aber wir wollen herausfinden, was für ein Ort es ist.“
Die Siedlung musste einst eine schöne Stadt gewesen sein, doch die Mauer, die sie einmal schützend umgeben hatte, lag in Trümmern. Große Steinbrocken waren im Sand versunken. Der Wind hatte den Ort verwüstet. Türen waren aufgebrochen, Dächer eingestürzt und überall säumten Sandhaufen die Straßen.
Dennoch trafen sie ziemlich viele Leute an. Sie erreichten einen Marktplatz im Zentrum der Stadt, der vor Verkaufsständen geradezu überquoll. Dazwischen suchten Ziegen, Esel und Kamele den Boden nach Essensresten ab. Viele der Tiere waren erbärmlich abgemagert. An ihren Flanken waren Narben zu sehen, die offensichtlich von regelmäßigen Schlägen herrührten.
„Ein schlimmer Ort“, schnaubte Gabar empört. „Lasst uns gehen!“
Doch Timoken dachte an die unbarmherzige Wüste. Er sehnte sich danach, endlich wieder ein festes Dach über dem Kopf zu haben und mit netten Menschen zu sprechen. Aber die Blicke, die ihnen hier zugeworfen wurden, waren alles andere als freundlich. Timoken konnte nur Misstrauen und Feindseligkeit darin erkennen.
„Wir finden sicher einen anderen Ort“, flüsterte Zobayda ihm aufmunternd zu, „und einen besseren als diesen hier allemal.“
Timoken nickte. „Lass uns verschwinden“, knurrte er Gabar zu.
Das musste er dem Kamel nicht zweimal sagen. Gabar warf den Kopf zurück, drehte sich dabei um und wandte sich einer Straße zu, die geradewegs vom Marktplatz wegführte, als ihnen plötzlich ein lauter Ruf nachhallte. Die Sprache klang eigenartig und die Stimme hatte einen tiefen, gurgelnden Klang. Timoken konnte zunächst keinen Sinn heraushören. Weitere Stimmen wurden laut und plötzlich rannten ein paar Gestalten voraus und versperrten dem Kamel den Weg.
Timoken umklammerte die Zügel. Er begann zu begreifen, dass das keine gewöhnlichen Männer waren, die da vor ihnen standen. Es waren grüne, sehnige Kreaturen.
„Viridees!“, stieß Gabar hervor und schnaubte ängstlich. Er schüttelte eines der Wesen ab, das sein Zaumzeug gepackt hatte, und preschte an ihm vorbei. Kreischend stürzte das Wesen zu Boden. Die anderen schrien vor Wut auf. Gabar hetzte eine schmale Gasse entlang, während die Meute aus Viridees hinter ihm herjagte. Am Ende der Gasse kam eine Mauer in Sicht.
„Wir reiten in eine Falle!“, rief Zobayda. „Es gibt nur einen Ausweg, Timoken. Wir müssen fliegen!“
„Nicht ohne Gabar“, erwiderte Timoken grimmig.
„Kamele können nicht fliegen!“, kreischte Zobayda.
„Woher willst du das wissen?“, presste Timoken zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Er ist zu schwer. Wir müssen ihn zurücklassen. Sie werden uns töten, Timoken! Ich kann es in ihren Augen sehen.“
„Ich werde Gabar nicht an diesem schrecklichen Ort zurücklassen!“, schrie Timoken. „Aber ich werde die Last verringern.“
Mit seinem perlenbesetzten Messer zertrennte er kurzerhand die Schnüre, die den Beutel mit der schweren Schatulle hielten, und krachend ging er zu Boden. Einige der Viridees stürzten sich sogleich darauf und zerrissen die Riemen. Andere dagegen waren nach wie vor nur darauf versessen, den Kindern nachzujagen.
„Die
Weitere Kostenlose Bücher