Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
hätten, verfolgt zu werden. Jetzt verschwanden sie unten im Haus.
Ich teilte Thomas mit, was ich gesehen hatte. »Die werden auch genug haben«, meinte er.
Gleich darauf klingelte es. Marianne öffnete, und Karl Benz platzte ins Zimmer. »Paul Brandstetter, Robert Punkt und Röschen sind draußen!« rief er.
»Was wollen sie?«, fragte Thomas.
»Sie wollen nicht mehr mitmachen«, erwiderte Karl Benz. »Herein!«, schrie Thomas.
Die drei kamen hinter Marianne schüchtern ins Zimmer. Der dicke Paul machte eine Sündermiene. Robert Punkt wischte sich verlegen die Nase. Röschen Traub hatte Tränen in den Augen. »Mein kleiner Bruder und meine kleinen Schwestern haben Hunger«, schluchzte sie.
»Habt ihr denn nichts zu essen zu Hause?«, fragte ich.
»Meine Mutter hat doch nichts eingekauft«, hauchte sie.
Marianne legte tröstend den Arm um sie. »Weine nicht, Röschen! Warte, ich werde dir etwas mitgeben!« Sie schlüpfte rasch hinaus.
»Wo warst du so lange?«, fuhr Thomas Karl Benz streng an.
»Ich habe die ganze Zeit spioniert«, antwortete Karl Benz und schielte Thomas ängstlich an. »Sie treiben es jetzt wirklich toll!«, fügte er eifrig hinzu. »Oskar ist mit einer Bande im Café Kunkel. Sie spielen Billard und drehen alle Bierhähne auf.«
»Ludwig Keller hat aus dem Fahrradgeschäft ein Grammophon geholt. Sie machen auf dem Geißmarkt Musik«, sagte Robert Punkt.
»Im ›Goldenen Posthorn‹ kegeln sie«, berichtete Karl Benz weiter. »Im Gastzimmer spielen sie Karten. ›Tod und Leben‹ und ›Meine Tante, deine Tante‹.«
»Na, das ist nicht so schlimm«, warf ich ein.
»Aber sie haben einen ganzen Sack Würfelzucker gefunden. Damit setzen sie!«, rief der dicke Paul aufgeregt.
»Unverschämt«, sagte Thomas.
Röschen Traub fing plötzlich auch an: »Viele Mädchen sind in Frau Kilians Modesalon. Die dummen Gänse probieren alle Kleider an. Alle Hüte haben sie sich aufgesetzt«, erzählte sie entrüstet.
Thomas schüttelte missbilligend den Kopf. »Weiber!«, sagte er verärgert.
»Aber das Schlimmste ist, dass sie die Schokolade, die sie nicht mehr mögen, einfach in den Rinnstein werfen«, behauptete der dicke Paul ganz empört.
»Es sieht schrecklich aus auf dem Geißmarkt«, sagte Karl Benz. »Überall liegen Spielsachen herum. Und Bücher. Und Papier.«
»Und denkt euch!«, rief Robert Punkt. »Vor Möllers Tabakladen paffen die Jungen Zigaretten. Oskar hat sogar eine Zigarre geraucht!«
»Hinterher ist ihm schlecht geworden«, fügte der dicke Paul hinzu.
»Pussi Tucher war mit ihren Freundinnen im Friseursalon. Sie haben sich geschminkt und gepudert!« Röschen Traub war noch jetzt ganz außer sich darüber.
»Blöde Zierpuppen«, bemerkte Heinz Himmel.
»Das nimmt ein Ende mit Schrecken«, sagte Thomas. Wir stimmten ihm bei.
Jetzt kam Marianne mit einem vollbepackten Körbchen herein. Sie gab es Röschen: »So! Hier sind Wurstbrote, Käsesemmeln, Milch und Äpfel. Bring das rasch deinen Geschwistern!«
»Dankeschön!«, sagte Röschen Traub gerührt und machte einen Knicks.
»Sie darf aber nicht allein gehen«, erklärte Thomas. »Vielleicht nimmt man es ihr weg.«
»Soll ich sie begleiten?«, fragte der dicke Paul und schielte nach dem Körbchen.
»Es ist sicherer, wenn wir alle sie begleiten«, bestimmte Thomas. Marianne suchte den Wohnungsschlüssel. Als sie ihn gefunden hatte, gingen wir und schlossen die Tür ab.
In der Pfarrgasse war es ruhig. Das Lärmen der Kinder war schwächer geworden. Viele hatten sich wohl schon müde getobt. Wir machten einen Bogen um den Geißmarkt und eilten durch mehrere Gassen und Gässchen, ehe wir auf die Kollersheimer Straße kamen. Die Traubs wohnen in der Nähe des Bahnhofsplatzes. Unterwegs trafen wir Otto Rabe und seine Schwester Trudi. Sie saßen traurig im Toreingang vor ihrer Wohnung. Als sie uns erblickten, sprangen sie erfreut auf und liefen uns entgegen.
»Thomas!«, schrie Otto. »Fein, dass du kommst!«
»He! Wo drückt denn der Schuh?«, fragte Thomas mürrisch.
»Wir können nicht in unsere Wohnung«, gestand Trudi und schaute uns Hilfe suchend an.
»Traurig«, erwiderte Thomas. »Geht doch in die Langengasse und schlaft heute nacht in Meißners Paradiesbetten-Geschäft!« Er wollte weitergehen, aber Otto zupfte ihn am Ärmel. »Du, Thomas, sei bitte nicht mehr bös auf uns!«, bat er.
»Hm«, brummte Thomas und blieb stehen.
»Wir wollen auch bestimmt keine Dummheiten machen«, sagte Trudi.
»Halt schon
Weitere Kostenlose Bücher