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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
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uns und bekam einen großen Schreck. »Ihr seid hier?!«, rief er überrascht.
    »Ja«, erwiderte Thomas.
    »Nimm Platz!«, sagte ich und nickte Karl Benz aufmunternd zu. »Marianne wird dir schon auf den Zahn fühlen!«
    Er war sehr verstört. »Es tut gar nicht mehr weh«, sagte er ängstlich. »Angsthase! Waschlappen! Muttersöhnchen!«, höhnte Thomas und gab Karl Benz einen Schubs, dass er wie ein Mehlsack in den Operationssessel plumpste.
    »Es tut aber wirklich nicht mehr weh«, stotterte er.
    »Kennen wir«, sagte Marianne beruhigend. Sie hatte mit einem Mal einen weißen Kittel an und in der Hand ein silbernes Instrument mit einem kleinen Spiegel am Ende. »Mund auf!«, schrie sie Karl Benz an. Der sperrte vor Schreck den Rachen auf. Marianne fuhr ihm rasch mit dem Instrument hinein. Wir stellten uns neugierig dazu und glotzten in Karl Benz’ Hals. Sehr schön sah es nicht aus da drin.
    »Welche Seite?«, fragte Marianne.
    Karl Benz zeigte mit dem Finger auf die linke Wange. Dabei schielte er ängstlich nach ihren Händen. Marianne untersuchte sachverständig seine Zähne. Sie zog die Stirne kraus und machte ganz große Kulleraugen. »Natürlich!«, sagte sie. »Schaut her! Der Backenzahn hat ein Loch!«
    »Ziehen?«, fragte Thomas gemütlich.
    Karl Benz zappelte wild mit den Händen. Er gluckste etwas Unverständliches. Wir hielten ihn eisern fest.
    »Das wäre das Beste«, meinte Marianne. »Aber ich bin zu schwach.«
    »Oh, das mach’ ich!«, versicherte Thomas und zwinkerte uns lustig mit den Augen zu.
    Karl Benz stieß einen Schrei aus: »Hilfe!! Lasst mich!!«
    »Ruhe!«, fuhr Thomas ihn an. »Hier hat der Arzt zu bestimmen!«
    »Ziehen ist nicht nötig«, sagte Marianne. »Ich werde ihm auch so helfen.« Sie tat ganz wie ein berühmter Professor. Sie kramte im Instrumentenkasten ihres Vaters und nahm eine dünne Silberstange mit einem spitzen Haken in die Hand. Damit fuhr sie in den Backenzahn. Karl Benz zuckte zusammen. Dann zog sie das Instrument heraus und zeigte uns triumphierend eine braune Masse.
    »Schokolade«, sagte sie.
    Wir lachten schallend auf.
    »Das kommt davon!«, quietschte Heinz vor Vergnügen.
    Marianne füllte eine kleine Spritze mit einer geheimnisvollen Flüssigkeit und spritzte den Backenzahn aus. Karl Benz fuhr wieder in die Höhe. Dann nahm sie Watte auf eine Pinzette, putzte das Loch aus; nahm wieder Watte und presste sie fest hinein. Sie gab Karl Benz einen Klaps auf die Wange und sagte: »Erledigt!«
    Wir ließen ihn los. Karl Benz richtete sich auf. Er schwitzte und machte ein dummes Gesicht. Aber plötzlich grinste er und lachte befreit auf:
    »Alle guten Götter, der Schmerz ist weg!«
    »Na siehst du!«, sagte Marianne stolz.
    »So! Und nun kannst du wieder verschwinden!«, befahl Thomas. Marianne legte den Kittel ab, und wir kehrten alle in die »Gute Stube« zurück. Karl Benz ging zögernd zur Tür. Plötzlich drehte er sich um. »Kann ich nicht bei euch bleiben?«, fragte er und und senkte die Augen zu Boden.
    »Warum?«, fragte ich rasch.
    »Weißt du, Geheimrat«, druckste er herum, »ich mach’ das nicht mehr mit. Sie sind wie die Verrückten. Das geht schief! Oskar hetzt sie alle nur auf, damit er nicht der Alleinschuldige ist!«
    »Aha, Katzenjammer!«, brummte Thomas.
    »Hast du auch mit Steinen nach uns geschmissen?«, wollte der kleine Heinz wissen.
    »Ehrenwort nicht!«, erwiderte Karl Benz ganz erschrocken.
    »Und warum gehst du nicht nach Hause?« Thomas blickte ihn forschend an.
    »Da ist doch niemand«, sagte Karl Benz. »Was soll ich denn allein zu Hause! Lasst mich bei euch bleiben! Ich will auch alles tun, was ihr wollt!«
    »Er ist eigentlich sonst ein ganz anständiger Kerl!«, warf Marianne ein. »Du kannst bleiben«, sagte Thomas.
    Karl Benz machte vor Freude einen Luftsprung. »Au fein!«, rief er.
    »Nicht so stürmisch!«, unterbrach ihn Thomas. »Wir müssen erst prüfen, ob du es auch ehrlich meinst. Lauf zum Geißmarkt und spionier aus, was sie treiben. Nachher komm zurück und erstatte Bericht!«
    »Sofort!«, entgegnete Karl Benz ganz aufgeregt und stürmte zur Wohnung hinaus.
    »Wir werden ja sehen, ob er zurückkehrt«, sagte Thomas.

7
    Es geht auch ohne Herrn Werner
    Karl Benz kam erst am Nachmittag wieder. Ich sah ihn um die Ecke des Geißmarktes biegen und die Pfarrgasse hinauflaufen. Aber er war nicht allein. Robert Punkt, Röschen Traub und der dicke Paul rannten neben ihm her. Sie blickten sich häufig um, als ob sie Angst

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