Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
schlaft«, riet ich. »Sonst ängstigen sich eure Eltern, wenn sie doch noch heute Nacht nach Hause kommen sollten.«
»Und die Pfausers bringen Röschen heim!«, bestimmte Thomas. »Ihr wohnt ja ganz in ihrer Nähe.«
Max Pfauser nickte zustimmend. Wir brachten das Gastzimmer sorgfältig in Ordnung. Die Kinder, die Schuhe und Strümpfe hatten, zogen sie rasch an. Dann gingen wir auf den Geißmarkt. Das Wetter war wieder schön. Die Sterne standen am Himmel. Es war auch nicht mehr so dunkel, weil der Mond schien. Ich sah auf meine Uhr. Es war schon sehr spät. Halb elf. Ich gehe selten spät ins Bett. Wenn es nach mir ginge, würde ich immer so lange aufbleiben. Aber meine Eltern sind dagegen. Sie sind in solchen Sachen ein wenig altmodisch.
Die Kinder aus der Kollersheimer Straße wollten fortlaufen. Aber Thomas sagte: »Wir müssen noch die Taschenlampen zurückbringen!«
»Und das Feuerzeug«, ergänzte ich.
Wir rannten in die Langengasse und legten die Sachen in Hases Geschäft auf den Ladentisch. Dann machten wir die Tür zu und ließen die Rollläden herunter.
Ludwig Keller, Ernst Werner, die drei Pfausers, Röschen Traub, Otto und Trudi Rabe, Fritz Schlüter und seine Schwester Erna verabschiedeten sich von uns. Sie zogen dichtgedrängt über den Geißmarkt und verschwanden in der Langengasse. Der dicke Paul setzte sich plötzlich in Bewegung, rief »Servus!« und trabte um die Ecke der Rathausgasse. Robert Punkt und Karl Benz wünschten uns »Gute Nacht!« und rannten in entgegengesetzter Richtung davon.
Thomas, Heinz Himmel und ich begleiteten Marianne noch in die Pfarrgasse. Sie hakte sich bei Thomas und mir ein, weil ihr die Füße wehtaten. Heinz Himmel trippelte mit gesenktem Kopf hinterher.
»Es war eigentlich sehr lustig heute«, sagte Marianne.
Thomas schwieg. Er sah gedankenvoll zu den Sternen auf.
»Wirklich, ein toller Tag«, stellte ich fest.
Wir waren bei Mariannes Wohnung angelangt. Marianne reichte uns die Hand: »Vielen Dank auch noch, dass ihr mich nach Hause gebracht habt!«
»Wir wissen, was sich gehört«, erwiderte Thomas scherzhaft und drückte ihr kräftig die Hand.
»Au! Bist du aber stark!«, schrie Marianne auf.
»Er kann zwei Walnüsse mit einer Hand zerdrücken!«, rief ich.
»Gute Nacht!«, sagte Marianne. Sie sah sehr müde aus.
»Fürchtest du dich auch nicht, so ganz allein in der Wohnung zu sein?«, fragte ich sie.
Marianne schüttelte den Kopf. »Nicht die Bohne!«
»Auch nicht vor Gespenstern?«, äußerte sich plötzlich der kleine Heinz zaghaft. Er sah sie ängstlich an.
»Pah! Gespenster gibt’s doch gar nicht!«, erwiderte Marianne verächtlich.
»Die Gespenster spuken in deinem Gehirn herum!«, fuhr Thomas Heinz ärgerlich an.
Der verstummte ganz erschrocken.
»Lass dir bloß keine Angst machen!«, wandte sich Thomas besorgt an Marianne.
»Ach was«, sagte Marianne lachend. »Ich werde wie ein Murmeltier schlafen.« Sie lief ins Haus und schlug die Tür zu. Von innen quetschte sie noch einen Augenblick ihre Nase gegen die Scheibe, dabei winkte sie uns lustig zu. Dann verschwand sie rasch auf der dunklen Treppe. Wir wollten uns auch gerade verabschieden, als von irgendwoher plötzlich ein dumpfes, langgezogenes Geheul ertönte. Wir blickten uns entgeistert an. Heinz Himmel wurde blass. Auch Thomas erschrak sehr. Das Heulen verstummte eine Sekunde, dann setzte es verstärkt ein und ging in ein klagendes, schrilles Wimmern über. Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Ich bin nicht feige. Ganz bestimmt nicht. Aber damals hatte ich doch ein bisschen Angst. Die Nacht war sehr unheimlich. Das Gefühl, dass die Stadt von allen Erwachsenen verlassen war, beunruhigte mich sehr. Nirgends brannte ein Licht. Nur der Mond schien. Weit und breit war kein menschliches Wesen zu sehen. Das war gar nicht schön. Mit einem Mal schoss Thomas wie ein Pfeil über die Straße. Auf der gegenüberliegenden Seite stand in einer Parterrewohnung ein Fenster offen. Thomas beugte sich hinein und schrie:
»Aha, ihr seid die Schreihälse!«
Heinz und ich rannten hinüber und blickten in das Zimmer. Es war vom Mondschein erhellt. Heinrich und Wilhelm Lackner, zwei der frechsten Piraten, saßen aufrecht in ihren Betten und schluchzten, dass ihnen die Zähne klapperten.
»Huhuhu! Wir fürchten uns so allein!«, jammerten sie beide.
»Zieht die Decke über die Ohren und schlaft!«, rief Thomas zornig. Die beiden gehorchten erschrocken und krochen unter die Federn. Thomas
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