Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
gehörten schon zu ihrem Kommando. Die Mädchen verteilten sich an der langen Tafel und passten auf, dass die Kleinen richtig aßen und jeder seinen Apfel kriegte. Thomas, Heinz Himmel, Otto und ich statteten nun auch noch der Küche einen Besuch ab. Hier herrschte ein reger Betrieb. Erna Schlüter hatte irgendwo eine hohe weiße Kochmütze aufgestöbert, die sie schief auf dem Kopf trug. Die andern Köchinnen hatten sich, wie Minna Pütz, Handtücher ums Haar gewickelt. Sie standen mit Holzlöffeln bewaffnet um den Herd und blickten ununterbrochen in die großen, dampfenden Kochtöpfe. Ein paar andere Mädchen hantierten an den Abwaschtischen. Sie hatten Schürzen umgebunden und machten sich gerade daran, die Teller und Gläser abzuwaschen, die ihnen von den Kellnerinnen aus dem Speisesaal gebracht wurden. Der Duft der Kartoffelsuppe stieg verführerisch in unsere Nasen. Wir hätten gern einmal gekostet. Aber Erna Schlüter drängte uns zur Tür hinaus.
»Ich kann euch beim Kochen gar nicht gebrauchen!«, schimpfte sie. Wir zogen eilig davon und gingen wieder auf den Geißmarkt zurück.
Die Arbeitseinteilung war in vollem Gange. Max Pfauser und Fritz Schlüter hatten schon viele Jungen für die Schutztruppe beisammen. Sie standen in Reih und Glied vor dem Rathaus und waren nach ihrer Größe in verschiedenen Abteilungen aufgestellt. Die beiden Kommandanten suchten die Hauptleute und Truppenleiter aus. Vor der Apotheke stand Robert Punkt, von seinen Spionen umgeben. Sie steckten die Köpfe zusammen und besprachen aufgeregt ihre Kriegspläne. Horst Wittner, Klaus Kogel und Albert Biene hatten ihre Räder geholt, um sie für die Fahrt nach Kollersheim in Ordnung zu bringen. Sie prüften die Reifen, pumpten die Schläuche auf und zogen Schrauben fest. Marianne saß mit ihren Untergebenen auf dem Brunnenrand. Sie waren in lebhafte Erörterungen über die Dienstordnung verwickelt. Der dicke Paul stand seelenruhig dabei und knabberte an einer alten Semmel, die er sich wohl vom Frühstück abgeknapst hatte. Ludwig Keller rannte wie ein Verrückter auf dem Platz hin und her. Es fehlten ihm immer noch einige Kinder für die Schreibarbeiten. Als er Thomas erblickte, kam er angestürzt und beklagte sich bei ihm.
»Alle behaupten, dass sie furchtbar schlecht schreiben«, stieß er hervor. Thomas zuckte die Achseln. »Lass dir die Zeugnisse aus der Schule holen und schau nach, wer ›Sehr gut‹ im Schreiben hat!«, erwiderte er. Dann ließ er ihn stehen und lief mit Heinz Himmel zur Schutztruppe hinüber.
Ludwig Keller wollte gleich wieder wegrennen, aber ich hielt ihn fest:
»Ich brauche den Schlüssel zum Postamt«, sagte ich. »Ich will jetzt die Telefonzentrale in Schuss bringen.«
Ludwig Keller schrie nach seinem Adjutanten Walter Pfauser. Der kam angesaust, und Ludwig befahl ihm, sofort den Schlüssel zum Postamt aus dem Rathaus, Zimmer zwei, zu holen. Walter flitzte davon. Ich machte mich inzwischen mit Otto Rabe auf die Suche nach Lotte Dröhne und Pussi Tucher. Ich fand die beiden vor dem »Goldenen Posthorn«. Dort warteten immer noch die Kinder, die bisher keinen Posten bekommen hatten. Pussi und Lotte mussten mir zum Postamt folgen, das gegenüber dem »Goldenen Posthorn« liegt. Walter Pfauser kam aus dem Rathaus gelaufen und brachte mir den Schlüssel. Ich schloss das Postamt auf und ging mit Otto, Pussi und Lotte hinein. Der Schalterraum ist sehr klein. Links ist die Barriere, rechts sind zwei Türen. Ich machte die erste auf. Das war das Arbeitszimmer des Herrn Postdirektor Wittner. Die zweite Tür führte auf einen langen Korridor. Wir marschierten den Gang hinunter. Das vorletzte Zimmer ist die Telefonzentrale. Auf einem Tisch steht der große Kasten mit den Anschlüssen. Er hat eine Menge Löcher. Über den Löchern sind kleine schwarze Blechklappen, die herunter fallen, wenn jemand das Amt anruft und eine Verbindung haben will. Bei jeder Klappe ist noch eine kleine Glühbirne. Sie leuchtet so lange auf, wie der Teilnehmer an seinem Apparat in der Leitung bleibt. Vor dem Kasten stecken die Stöpsel für die Anschlüsse. Man zieht sie an einer Schnur heraus und steckt sie in die Löcher.
Ich erklärte Pussi Tucher und Lotte Dröhne genau die Handhabung für die Herstellung der Verbindungen. Ich setzte mich vor den Kasten und zeigte es ihnen.
»Ihr setzt hier diesen Doppelhörer mit dem Lautsprecher auf«, sagte ich. »Wenn eine der Klappen herunterfällt und das darüber befindliche Lämpchen aufglüht,
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