Tina und Tini 09 - Geisterstimmen im Park
und Fotografien ihres Mannes, ihre Entrücktheit, wenn sie sich ganz der Musik hingab, wandelte sich Frau Neumanns Gesichtsausdruck von heiterer Gelöstheit immer mehr zu einer tiefen Betroffenheit und Trauer. Tränen standen ihr in den Augen, als Tini schließlich von ihrem Abschied erzählte.
„Sie sagte, wir müßten sie jetzt allein lassen, die Stunde am Tag, in der ihr Mann gestorben sei, müsse sie jeden Abend ganz allein mit ihm verbringen. Sie sprach von ihm, als wenn sie einen lebendigen Gast erwartete — es war ganz unheimlich!“
„Die Ärmste! Ich kann ihr das so gut nachfühlen“, sagte Frau Neumann. „Es ist erstaunlich, daß gerade sie so von diesem Schmerz überwältigt worden ist und sich so gar nicht daraus lösen kann.“
„Gerade sie? Wie meinen Sie das, Frau Neumann?“ fragte Tobbi und schaute an der alten Dame vorbei, die sich die Tränen abtupfte.
„Nun, sie ist so ein lebenslustiger, mutiger Kerl gewesen, sie stand mit beiden Beinen fest auf der Erde. Natürlich hatte sie eine sehr lebendige Phantasie, und die ist durch die Jahre auf der Bühne sicher noch gewachsen. Wenn man sich ständig in die Gefühle anderer Figuren hineinversetzen muß, Haß, Liebe, Schmerz, Leidenschaft glaubhaft darstellen muß, dann hinterläßt das sicher Spuren. Außerdem...“, Frau Neumann lächelte leicht, „war sie — wie viele Leute beim Theater — schrecklich abergläubisch. Sie ließ sich Horoskope stellen, Karten legen, aus der Hand lesen, wo immer jemand behauptete, von solchen Künsten etwas zu verstehen.“
„Ach wirklich?“ rief Tina überrascht. „Nun, das erklärt ja einiges!“
Tini stieß sie heimlich warnend an. Tina räusperte sich.
„Ich meine, das erklärt, daß sie glaubt, mit ihrem toten Mann sprechen zu können.“
„Vielleicht“, meinte Frau Neumann nachdenklich. „Vielleicht ist sie in die Hände einer dieser gewissenlosen Frauen gefallen, die behaupten, ein Medium zu sein und Botschaften aus dem Jenseits vermitteln zu können. Vielleicht hat so eine Person meiner guten Erni Versprechungen gemacht. Es hat mich schon immer beunruhigt, wie ein intelligenter Mensch in diesem Punkt so gutgläubig sein kann. Aber wenn man um einen geliebten Menschen trauert, ist man geneigt, nach jedem Strohhalm zu greifen.“ Frau Neumann sah in die fragenden Gesichter ihrer drei jungen Besucher. „Das war nur so vor mich hingedacht“, sagte sie. „Ihr habt recht. Ich muß mich unbedingt um meine alte Freundin kümmern, ich muß sie aus dieser gefährlichen Gemütsverfassung reißen! Gleich jetzt werde ich anrufen.“
„Dürfen wir so lange hier warten? Ich bin so neugierig, ob es Ihnen gelingt, Frau Hofer zu einem Besuch zu überreden. Sagen Sie ihr, daß Sie kein Auto haben, und daß Sie deshalb ..
„Keine Sorge, Tina, ich werde es schon richtig anfangen. Wartet hier.“
Frau Neumann ging ins Nebenzimmer und schloß die Tür. Tina und Tini seufzten kellertief. Hoffentlich gelang das Vorhaben! Was, wenn Frau Hofer nun gar nicht abnahm? Wenn sie das Telefon abgestellt hatte, um ungestört zu sein? Nein, jetzt hörten sie Frau Neumann sprechen.
Die Versuchung zu lauschen war übermächtig, aber Tina, Tini und Tobbi widerstanden ihr. Sie saßen da, preßten ihre Daumen und murmelten immer wieder „Lieber Gott, laß es klappen!“
Endlich erschien Frau Neumann wieder.
„Das war eine schwere Arbeit!“ seufzte sie lächelnd. „Ich mußte all meine diplomatischen Fähigkeiten aufwenden. Aber schließlich hat sie sich doch überzeugen lassen — sie kommt heute nachmittag um drei Uhr her und holt mich zu einer Spazierfahrt ab. Schließlich meinte sie, ein bißchen frische Luft und eine andere Umgebung würden ihr ganz guttun. Später werden wir dann vielleicht bei mir Tee trinken.“
„Prima!“ Tina sprang begeistert auf. Flocki , der fest geschlafen hatte, purzelte fast aus seinem Körbchen vor Schreck und begann wild zu kläffen.
„Um drei Uhr also“, sagte Tini und sah die anderen vielsagend an. „Und wann werden Sie wieder hier sein? Vielleicht gegen fünf? Nur, falls wir Flocki zum Spazierengehen abholen wollen.“
„Ja, vielleicht gegen fünf, ich weiß es nicht. Ihr werdet ja sehen, ob das Auto vor meiner Tür steht.“ —
Um Viertel vor drei lagen drei versteckte Gestalten in einem Gummiboot in der Nähe des Ufers und lauschten angestrengt auf die Geräusche eines davonfahrenden Autos.
„Jetzt! Das muß sie sein!“ Tobbi spähte über den Bootsrand. „Ja,
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