Tina und Tini und die Spuren im Schnee
haben und uns nicht böse sein, wenn wir uns nach der Lage der Dinge erkundigen“, sagte Tina. „Schließlich gehören wir ja zu seinem Team.“
„Gut. Und jetzt reden wir über Silvester. Hat einer von euch schon eine Idee?“, fragte Tobbi. „Wie wär’s mit dem Schiffchen-Orakel?“
Am nächsten Abend gegen sieben Uhr versammelte man sich in der Nachbarvilla. Die beiden alten Damen hatten den Treppenaufgang mit Papierblumen geschmückt, Luftschlangen hingen von den Lampen und der Decke. Lisa Hofers Wohnzimmer war mit schweren Teppichen und wuchtigen Möbeln eingerichtet. Es glänzte im Licht Dutzender von Kerzen, die auf fünfarmigen silbernen Leuchtern Tische, Kommoden und den Flügel schmückten. Frau Hofer liebte prächtige Dekorationen und man kam sich in ihrer Wohnung immer ein wenig vor, als stünde man auf einer Opernbühne.
Lisa Hofer, in ein weites, schimmerndes Gewand aus burgunderrotem Taft gehüllt, das üppige Dekollete mit einer mehrreihigen Perlenkette geschmückt, begrüßte die Gäste wie lange verschollen geglaubte Kinder. Der Taft raschelte und rauschte, wenn sie einen an sich drückte, der Duft eines exotischen Parfüms nahm einem beinahe den Atem — Lisa Hofer schlug wie ein wild bewegtes Meer über einem zusammen. So empfanden es Tina und Tini.
Wirkte Lisa Hofer wie eine Meeresflut, so erinnerte Ilse Neumann neben ihr allenfalls an einen leise fächelnden Abendwind. Das feine Gesicht mit den vielen Lachfältchen, die sorgfältig aufgesteckte Frisur, das strenge, zartgraue Samtkleid, die ruhigen Bewegungen und ihre leise, warme Stimme bewirkten, dass man sich in ihrer Nähe sofort wohl fühlte.
„Meine Lieben! Wie schön, dass ihr alle bei mir seid!“, schallte Lisa Hofers Opernstimme durch den Raum. „Tobbi, du verwaltest heute Abend die Bar! Walte deines Amtes, dort drüben auf dem Tisch steht alles bereit. Und euch, meine Freunde, darf ich zum Essen bitten. Wir haben drüben im Speisezimmer ein kleines Essen aufgebaut. Jeder soll sich selbst bedienen!“
„Kleines Essen ist gut!“, flüsterte Tina. „Hast du schon jemals so viele köstliche Sachen auf einem Haufen gesehen?“
„Wer soll das bloß alles essen?“, seufzte Tina. „Ist es nicht schrecklich, dass man bei solchen Gelegenheiten immer so schnell satt ist?“
„Ich nicht“, sagte Tobbi, der in der einen Hand eine Flasche Weißwein, in der anderen eine Flasche Rotwein trug. „Was wünschen die Damen zu trinken?“
„Champagner bitte!“, flötete Tina.
„Quatsch. Ihr kriegt erst mal Orangensaft, damit ihr keinen Schwips bekommt. Ich hole ihn gleich. Reserviert mir inzwischen ein Brüstchen.“
„Wie bitte?“, prustete Tina heraus.
„Eins von den glasierten Fasanenbrüstchen dort, was denn sonst?“
„Ach so.“
„Leute!“, sagte Tobbi verächtlich und goss sich ein Glas Rotwein ein.
Die lebhaften Gespräche verstummten allmählich und machten dem Klappern der Teller und Bestecke Platz. Nur entzückte Ausrufe waren hin und wieder zu hören: „Nein, dieser Salat ist einfach himmlisch!“ und: „Noch nie habe ich so einen zarten Rehrücken gegessen!“ „Diese Forellenfilets sind ein Gedicht, Liebste, du solltest ein Restaurant eröffnen!“ „Ein Traum, diese Lachscreme, Sie müssen mir unbedingt das Rezept geben!“
Lisa Hofer strahlte und ermunterte die Gäste immer wieder zum Essen. Tina, Tini und Tobbi ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie schmausten, als hätten sie eine Ozeanüberquerung auf einem Ruderboot vor sich, mit der Aussicht, drei Wochen nur von trockenem Zwieback zu leben.
Erstaunlich, dass nach einem so üppigen Festmahl die Gastgeberin ohne ein Anzeichen von Erschöpfung am Klavier Platz nahm und für ihre Gäste ein kleines Privatkonzert gab. Die Gäste selbst hingen mehr oder weniger erschlafft in ihren Sesseln und waren froh, dass von ihnen außer einem interessierten Gesichtsausdruck im Augenblick nichts erwartet wurde.
Ilse Neumann brachte Kaffee und dann begann der lustige Teil des Abends. Tina, Tini und Tobbi hatten ein paar Gesellschaftsspiele vorbereitet, von denen das Schiffchenorakel besonderen Anklang fand. In eine Schüssel mit Wasser wurde ein Schiffchen aus einer halben Nussschale gesetzt, in dem ein Kerzenstummel brannte. Rund um den Rand der Schüssel hingen schmale Papierstreifen, auf denen geheimnisvolle Sprüche standen.
Jeder von euch darf nun einmal das Schiffchen in der Mitte aufs Wasser setzen“, erklärte Tina. „Das Schiffchen wird zu
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