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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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zweitens hat er deine Absenz natürlich dahingehend gedeutet, dass du schon wieder eigenmächtig in dieser Offizierssache da ermittelst, obwohl er dir das expressis verbis verboten hat.“
    „Aber ich war gar nicht …“
    „Das ist wurscht, Bronstein! Er hat es jedenfalls angenommen, und das ist das Einzige, was in diesem Fall zählt. Dir muss schon eine gute Ausrede einfallen, wenn du nicht willst, dass sie dich nach Stein versetzen, wo du als Schließer wie die dortigen Verbrecher im Kotter verrottest.“
    Bronstein erstarrte. Von der mitfühlenden Miene seines Visavis konnte er sich nichts kaufen. Anscheinend ging es jetzt wirklich um Kopf und Kragen.
    „Gibt es noch etwas, das ich wissen sollte?“
    „Ja“, meinte der so Angesprochene, „du sollst dich morgen um zehn Uhr am Deutschmeisterplatz einfinden. Dort wird man dir sagen, wie deine Zukunft bei der Polizei aussieht. … Das heißt, falls es für dich noch eine Zukunft bei der Polizei gibt.“
    „Na servus.“ Wie erschlagen taumelte Bronstein ein paar Schritte rückwärts. Ratlos stand er noch einen Augenblick auf dem Gehsteig, dann nickte er dem Kollegen traurig zu und machte allmählich kehrt. Mit der Stadtbahn fuhr er auf den Margaretengürtel, wo er die Tramway nahm, die ihn Richtung Hernals brachte. Und sosehr er sich auch wünschte, einfach an gar nichts zu denken, zermarterte er sich das Gehirn auf der verzweifelten Suche nach einem Ausweg aus dieser seiner verfahrenen Situation.
    Wie hatte es überhaupt so weit kommen können? All die Jahre war er davon ausgegangen, dass sein Vorgesetzter ihn im Prinzip schätzte, allen gelegentlichen Disputen zum Trotz. Und eigentlich hatte er sich weit mehr darüber gewundert, warum sein Aufstieg ausblieb, als dass er sich um seinen Weiterverbleib beim „Verein“ gesorgt hätte. Und das sollte nun von heute auf morgen anders werden? Obwohl er sich praktisch nichts zuschulden hatte kommen lassen? Bronstein musste sich eingestehen, er verstand die Welt nicht mehr.
    Anstatt noch ein zweites Mal umzusteigen, beschloss er, ungeachtet aller Kälte, den Weg vom Gürtel nach Dornbach zu Fuß zurückzulegen. Ruhe, so wusste er, würde er ohnehin keine finden, und ein derartiger Marsch sorgte mit etwas Glück für ein wenig Müdigkeit, sodass er nicht die ganze Nacht damit zubringen musste, über sich und sein Schicksal nachzusinnen. Eine Disziplinarkommission! Er war ja nicht einmal abgemahnt worden! Oder doch? Wertete der Postenkommandant seine Wutausbrüche als offiziellen Tadel Bronsteins? Wenn dem so war, dann sah es freilich wirklich übel für ihn aus. Um zehn Uhr am Deutschmeisterplatz! Bronstein zog seine Taschenuhr hervor. Erst in 16 Stunden würde er Klarheit über seine Zukunft haben. Eigentlich, so fand er, schrie das nach einem Besäufnis.
    Retten konnte ihn nur entsprechende Ablenkung. Am Elterleinplatz bog er nach links ein, wo ein Altwiener Gasthaus hervorragende Hausmannskost versprach. Bronstein betrat die Wirtschaft, setzte sich an einen freien Tisch und bestellte einen Schweinsbraten mit Kraut und Knödel, dazu orderte er ein Krügel Ottakringer. Zwar stand das Bier vor ihm auf dem Tisch, kaum, dass er sich eine Zigarette angezündet hatte, doch das Essen würde, so ließ die Kellnerin verlauten, zwanzig Minuten auf sich warten lassen, da es ja frisch zubereitet würde, wie sie eilig hinzufügte.
    Bronstein verspürte keine Lust, einstweilen in Grübelei zu versinken, und so sah er sich nach Lesematerial um. Auf der Schank fand er die Ausgabe der „Neuen Zeitung“ vom Tage und begann, wieder an seinem Tisch sitzend, gelangweilt darin herumzublättern. Doch schon auf Seite 3 wurde seine Neugier geweckt, und erstmals seit Stunden dachte er tatsächlich nicht mehr an seine ungewisse Zukunft.
    „Abgeordneter Schuhmeier erschossen“, lautete die Überschrift, die ihn fesselte. Wie Bronstein schon vermutet hatte, war Schuhmeier als Redner bei einer Parteiversammlung in Stockerau aufgetreten. Der Mörder war laut Zeitung als der 43-jährige Paul Kunschak identifiziert worden, der Bruder eines christlichsozialen Mandatars. Das freilich, dachte Bronstein, während er einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas nahm, verlieh dem Fall zusätzliche Brisanz. Das Blatt wusste weiter zu berichten, dass der Täter gegenüber dem ihn einvernehmenden Oberkommissär Doktor Czech voll geständig gewesen sei.
    Diesen Satz hätte er nun besser nicht gelesen! Bronstein musste wieder an die bevorstehende

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