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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Damen, meine Herren, meine dienstlichen Obliegenheiten dulden nun keinen Aufschub mehr, und sosehr ich es auch bedaure, so muss ich dieser erlesenen Gesellschaft doch Lebewohl sagen. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich Ihre Bekanntschaft in höchstem Ausmaß genossen habe, und so möchte ich mich mit dem Wunsch verabschieden, dass dieses Zusammensein nicht das letzte gewesen sein möge. Ich wünsche Ihnen allen noch einen vergnüglichen Tag und darf mich empfehlen.“
    Er deutete eine Verbeugung an und signalisierte dann dem Kellner, dass er zahlen wolle.
    „Lassen Sie nur, Bronstein, Sie sind selbstverständlich mein Gast. Das sind wir Ihnen in jeder Hinsicht schuldig“, erklärte Segur. Bronstein fiel ein Stein vom Herzen. Seine Knie hatten bereits gezittert, und er war einer Ohnmacht nahe gewesen, doch nun konnte er doch den Gentleman spielen und sich mit einer abermaligen Verbeugung für diese Geste bedanken. Er küsste sodann den drei Damen die Hand, reichte selbige den Herren und wandte sich dann an Marie Caroline.
    „Warten Sie, Herr von Bronstein, ich geleite Sie nach draußen.“ Na, das war doch mehr, als er hatte erwarten dürfen. Marie Caroline stand auf, Segur und Rohan taten es ihr gleich. „Bin gleich wieder da, ihr Lieben“, sagte sie leichthin und bot dann Bronstein ihren Arm dar. An der Garderobe angekommen, sah sie ihm tief in die Augen.
    „Ich danke Ihnen noch einmal von ganzem Herzen für Ihre Ritterlichkeit. Und auch dafür, dass Sie dem dummen Josef seine Blödheiten nachgesehen haben. Der arme Kerl ist, glaube ich, tatsächlich ein wenig in mich verschossen, aber da beißt er auf Granit.“ Ihr Blick wurde noch intensiver, sodass er eigentlich bereits die Grenze des Erlaubten überschritt. So durften sich in der Öffentlichkeit nicht einmal Ehepaare ansehen, und Bronstein spürte, wie seine Nervosität zunahm.
    „Ich danke Ihnen für diesen wunderschönen Tag“, nuschelte er. „Und es wäre mir eine Ehre, wenn ein Wiedersehen beizeiten gewünscht würde.“
    „Das wird in jedem Fall erwünscht sein“, hauchte Marie Caroline, „schon sehr bald, würde ich sagen. Dann aber vielleicht ohne Anhang.“ Dabei blinzelte sie. „Vielleicht“, nun zog sie ein Schnoferl und blickte scheinbar naiv zu Boden, „führt mich der Herr ja einmal ins Kabarett aus. Am Freitagabend vielleicht.“
    Bronstein stellte fest, wie gut Marie Caroline sich auf das Kokette verstand. Eben hatte sie noch ihre Augen auf das Parkett gerichtet gehabt, nun wanderten diese nach oben und ließen sie als ein kleines Kind erscheinen, das den guten Onkel um ein Bonbon angeht. Bronstein spürte einen Kloß im Hals, räusperte sich umständlich und krächzte dann: „Ich werde mir erlauben, Sie am Freitag von zu Hause abzuholen. Wäre acht Uhr genehm?“
    „Acht Uhr passt perfekt.“
    Sie hielt ihm ihre rechte Hand entgegen, zum Zeichen, dass sie nun die Unterhaltung als beendet betrachtete. Er küsste sie, verbeugte sich nochmals und nahm dann seinen Borsalino in Empfang. Möglichst würdevoll schritt er nach draußen, wo er sofort nach rechts abbog. Als er sich außer Sichtweise wusste, sackte er in sich zusammen. Darauf brauchte er dringend einen Schnaps. Einen möglichst hochprozentigen!
    Als er vor dem Wohnhaus Stalins eintraf, stand ein Kollege dort, der gelangweilt einen Zigarettenstummel auf das Trottoir warf. „Bronstein, was machst denn du da?“, entfuhr es ihm.
    „Na Schicht hab ich“, entgegnete der.
    „Hat dir der Chef nichts g’sagt?“ Ungläubig musterte der Beamte sein Gegenüber.
    „Was gesagt?“ Bronstein schwante Übles.
    „Du bist von dem Fall da abgezogen. Das heißt auch von diesem Fall. Von allen Fällen eigentlich.“
    „Was soll das heißen?“ Bronstein begann unwillkürlich schneller zu atmen.
    „Was soll ich dir sagen, Bronstein. Dass du heute den ganzen Tag nicht im Büro warst, das hat deinen Stellenwert beim Chef nicht gerade gesteigert. Getobt hat er wie das Rumpelstilzchen. Ein Disziplinarverfahren will er dir anhängen. An deiner Stell’ tät ich mich warm anziehen“, fügte der Kollege hinzu.
    „Aber wieso das denn? Er hat ja gewusst, dass ich ab 16 Uhr wieder da Dienst schieb, da ist es doch keine Affäre, wenn man zwischendurch einmal anderswo ist. Das machen doch alle so.“
    Bronsteins Kollege brachte seinen Kopf ganz nahe an den des Oberkommissärs: „Du hast zwei große Fehler g’macht, Bronstein. Erstens wollte er den Bericht von gestern sofort haben, und

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