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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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natürlich.“
    Bronstein sah abrupt auf: „Haben wir denn keinen exakten Todeszeitpunkt? Die Gerichtsmedizin müsste doch …“ Und wieder ließ er den Papierberg vor sich eifrig kreißen. Nachdem er alle Akten restlos durchgewühlt hatte, schlug er sich mit der Hand auf den Kopf. Lang, dieser treue Diener seines Staates, hatte sich offenbar mit der simplen Mitteilung des Amtsarztes begnügt, dass Mészáros definitiv nicht mehr unter den Lebenden weilte, und alle anderen Beamten, die seitdem mit der Causa befasst gewesen waren, hatten es verabsäumt, der Frage des genauen Todeszeitpunkts nachzugehen.
    „Wie, hast du gesagt, heißt der Pathologe noch einmal?“
    „Strakosch. Warum?“
    „Wo erwisch ich den?“
    „Einfach mit dem Fernsprecher. Das Fräulein stellt dich schon durch.“
    Bronstein griff zum Hörer. Einige Minuten später war er mit dem Leiter der Gerichtsmedizin in der Sensengasse verbunden.
    „Äh, einen guten Tag zu wünschen, Oberkommissär Bronstein am Apparat, ich hätte eine Frage an Sie, Herr Medizinalrat …“
    „Hofrat genügt völlig, Herr Oberkommissär.“
    „Gut, Herr Hofrat. Sagen Sie, kann man den genauen Todeszeitpunkt eines Menschen noch bestimmen, sagen wir, gut zwei Wochen nach seinem Ableben?“
    Am anderen Ende der Leitung war homerisches Gelächter zu vernehmen. „Also Sie machen mir Spaß, Herr Oberkommissär. Wie, bitte schön, soll denn das gehen? … Wo ist das Corpus überhaupt?“, fragte Strakosch dann abrupt.
    Bronstein unterdrückte einen Schrei. Wo war die Leiche über haupt abgeblieben? Der nächste kapitale Fehler! Was war er doch für ein grauenhafter Stümper! Er hatte sich ja um rein gar nichts gekümmert! Wie ein Volltrottel stolperte er völlig ahnungslos durch die Szenerie und schoss dabei einen Bock nach dem anderen. Wie war das mit Marie Caroline bei ihrer ersten Begegnung gewesen? Sherlock Holmes und Dupin und Tabarin? Die würden glatt in Ohnmacht fallen, wenn sie ihren österreichischen Kollegen bei seiner Arbeit beobachteten.
    „Sehr geehrter Herr Hofrat, ich … äh … ruf Sie noch einmal an. Hier hat sich gerade … eine neue Situation … Entschuldigung, dass ich Ihnen Mühe … Wiederhören.“ Er läutete ab und fluchte laut. „Was ist das für eine Schlamperei! Wir sind doch wirklich die allerletzten Dorfdeppen! Pokorny! Wo ist die Leiche jetzt?“
    Pokorny zuckte nur mit den Schultern: „Woher soll ich das wissen?“
    „Dann finde es heraus!“, schrie Bronstein mit sich überschlagender Stimme. „Das ist ein Sauhaufen hier! Das kann nicht geduldet werden! Das …“
    Von einem Sekundenbruchteil zum nächsten erstarb Bronstein. Er sah Pokorny mit schuldbewusster Miene an: „Tschuldige. Ich weiß, du kannst nichts für diesen ganzen Pallawatsch. An dem bin ganz allein ich schuld. Aber weißt, ich hab das Gefühl, ich bin dem allen nicht gewachsen. Seit Tagen rennen wir herum und reden mit irgendwelchen Leuten, und was kommt heraus dabei? Nichts. Gar nichts! Ich halt das nicht mehr aus.“
    „Na, so schlimm ist das auch wieder nicht. Sagen wir doch einfach, es gibt keine Anhaltspunkte für Fremdeinwirkung. Der hat sich selber g’macht und aus.“
    „Nein, Pokorny. So geht das nicht. Ich kann ja nicht meine Laufbahn bei der Abteilung Leib und Leben mit einer Kapitulation beginnen. Ich muss diesen Fall lösen. Und ich bin mir sicher, dass wir etwas übersehen haben. Der wurde ermordet, das hab ich im Urin. Und wahrscheinlich, wegen irgendeiner warmen G’schicht. Ich weiß nur noch nicht, von wem.“
    „Geh bitte, Herr Oberkommissär“, warf Pokorny ein, „jetzt lassen wir doch einmal die Kirche im Dorf, ja? Der Mann wurde in seinem eigenen Zimmer erhängt aufgefunden. Wie soll denn das gehen, wenn das nicht Selbstmord war? Glauben S’, den hat jemand hochg’hoben und in die Schlinge g’hängt? Und der wehrt sich nicht? Tschuldigung schon, aber das ist ein Topfen!“
    Bronstein musste Pokorny teilweise recht geben. Es klang nicht besonders wahrscheinlich, dass jemand just auf solche Weise ermordet werden konnte. Doch irgendetwas hatte ihn schon am ersten Tag an der Szenerie gestört. Da war etwas gewesen, das bei einem Selbstmord anders hätte sein müssen! Nur, was konnte das sein? Bronstein griff noch einmal nach dem Bericht vom Tatort und vertiefte sich zum x-ten Mal in dessen Text. Pokorny beobachtete ihn eine kleine Weile dabei, dann zuckte er mit den Schultern und trank weiter seinen Kaffee.
    „Der Sessel!“, schrie

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