Tinnef
war das zum Beispiel?“
„Na unten, ums Eck, beim Wirten. Da is er immer wieder einmal g’sessen. Da hat er sinniert. Richtig desperat is er mir da manchmal vorkommen. Also wenn ich so dort vorbeikommen bin und einen schnellen Blick durchs Fenster g’worfen hab“, ergänzte sie.
„Und haben Sie eine Vermutung, was für ein Geheimnis das gewesen sein könnte?“
„Ich glaub, obwohl da so oft seine Kameraden dabei waren und er auch da im Haus immer so freundlich war, tief im Inneren war er sehr einsam. Und wer weiß, vielleicht war er verliebt? Wär doch nicht abwegig, in dem seinem Alter.“
„Verliebt? In wen?“
„Jo mei, alles weiß ich auch nicht, oder?“
„Na, haben Sie einmal eine potenzielle Herzdame gesehen oder so, dass Sie auf diese Idee kommen?“, blieb Bronstein beharrlich.
„Nein, das könnt ich nicht sagen. Aber wer weiß, vielleicht hat er ja in dem Dorf, aus dem er kommt, eine Angebetete. Andererseits …“
„Andererseits was?“
„Na ja, wissen S’, Herr Inspektor. Ein bisserl anders war er schon, der Herr … Ober…leutnant.“
„Inwiefern?“
„Also, er hat auf Dinge geachtet, auf die kein Mannsbild normal je schaut. Eigentlich war der gar nicht so, wie man sich einen Offizier vorstellt, verstehen S’, der war mehr wie ein … Friseur.“
Na bitte, dachte Bronstein. Was sagte man Friseuren gemeinhin nach? Eben! Innerlich war er sich damit endgültig sicher, es mit einem Mann vom anderen Ufer zu tun zu haben, auch wenn man wahrscheinlich noch in seinem Herkunftsort entsprechende Erkundigungen würde einholen müssen. Aber er war sich nun schon ziemlich sicher, dass man auch dort kein Mädel finden würde, das auf Mészáros wartete.
„Ein Friseur also“, wandte er sich wieder an die Reininger. „Sagen Sie, gibt es in dem Haus noch irgendjemanden, den wir befragen sollten? Wir waren bei der Frau Kriwanek, bei der Neziba und der Wejwoda und jetzt bei Ihnen. Gibt es noch jemanden, der uns über Oberleutnant Mészáros Auskunft geben könnte?“
„Na ja, fragen S’ halt den Vermieter. Der hat sich ja immer den Zins abgeholt. Vielleicht weiß der etwas.“
Bronstein schien dieser Hinweis sinnreich, und so erkundigte er sich bei der Reininger, wo der Vermieter denn anzutreffen sei. Er bewohne selbst die Beletage auf der Einserstiege, erhielt er zur Antwort, und so machte er sich umgehend auf, auch noch den Herrn Hausbesitzer aufzusuchen. Dieser befand sich jedoch, wie seine Zugehfrau, die gerade mit der täglichen Reinigung der Wohnung beschäftigt war, versicherte, nicht in seinen eigenen vier Wänden. Da die Frau auch nicht zu sagen vermochte, wann er wieder zu sprechen wäre, verabschiedete sich Bronstein und meinte anschließend zu Pokorny, die Zeit sei weit genug fortgeschritten, um bei einem Mittagsmahl über die gewonnenen Erkenntnisse nachzusinnen und die nächsten Schritte zu planen.
VII.
Montag, 24. Februar 1913
Als Bronstein am Montagmorgen sein Büro betrat, befand er sich im Zustand gereizter Melancholie. Noch eine Woche zuvor war er voller Zuversicht gewesen, den Fall Mészáros rasch klären zu können und so einen beeindruckenden Einstand in seiner neuen Wirkungsstätte zu haben. Die Gespräche im Wohnhaus des Dahingegangenen waren äußerst vielversprechend verlaufen und hatten ein ziemlich klares Bild ergeben, von dem er geglaubt hatte, es nur noch entsprechend abrunden zu müssen, um der Sache endgültig auf den Grund zu kommen. Immer deutlicher hatte sich im Wochenverlauf abgezeichnet, dass der Mészáros niemals in Begleitung einer jungen Dame gesehen worden war. Der Wirt an der Ecke hatte sogar gemeint, Mészáros war stets reichlich unwirsch geworden, wenn die holde Weiblichkeit den Versuch einer Annäherung an seine Person unternommen habe. „Richtig aufgeblüht ist der eigentlich nur, wenn er im Kreise seiner Kameraden getrunken hat“, lautete die entsprechende Aussage des Gastronomen, ergänzt um die Beifügung, dass dies besonders für einen blonden Oberleutnant von adeliger Herkunft gegolten habe: „Da hat ma sofort g’sehen, dass der Mészáros den richtiggehend bewundert, ja sogar verehrt hat. Der ist förmlich an seinen Lippen g’hängt und hat jedes Wort aufg’saugt, das dieser blasierte Schnösel von sich gegeben hat.“ Es brauchte nicht viel Phantasie, um die Antipathie, welche der Gastwirt wider Baumgarten hegte, aus seinen Angaben herauszuhören, doch für Bronstein änderte dies nichts am Inhalt der Aussage. Anscheinend
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