Tinnef
einer Einigung kommen, was die Interpretation des eben Geschehenen anbelangte. Sicher, das würde eine beträchtliche Summe kosten, aber die war es allemal wert, wenn man die Alternativen bedachte. Fieberhaft ging Bronstein allfällige Varianten durch, bei denen er und sein Mitarbeiter nicht wie die vollkommenen Trottel erschienen. Vielleicht, so dachte er, konnte man von einer waghalsigen Verfolgungsjagd berichten. Von einem Schusswechsel gar. Man habe alles richtig gemacht, nur das Ausbleiben von Verstärkung, die man ob der Brisanz des Falles gar nicht erst habe anfordern können, um den Verdächtigen nicht zu verlieren, habe den erfolgreichen Einsatz von Pokorny und ihm letztlich vereitelt.
Nun, das klang nicht wirklich überzeugend. Aber in diese Richtung musste man weiterdenken, wollte man einen Ausweg aus der katastrophalen Lage, in die man geraten war, finden.
„Pokorny“, sagte er endlich, „mit der G’schicht brauchen wir beim Gayer gar nicht erst antreten. Uns muss irgendetwas einfallen, womit wir uns wenigstens einen kleinen Rest an Würde bewahren.“
„Ah jo. Und nachher wie?“
„Was weiß ich! Er ist uns im Zuge der Verfolgung entwischt. Das ist unsere einzige Chance, dass wir mit einem Verweis davonkommen. Sonst sind wir gleich erledigt.“
Pokorny machte eine zweifelnde Miene. „Na, i waaß ned, ob des wos wird!“
„Dann überleg dir gefälligst was!“, brüllte Bronstein. „I glaub, es hot g’leit“, äffte er Pokornys Satz nach, mit dem das ganze Schlamassel erst angefangen hatte.
Die beiden waren mittlerweile am Parkring angekommen und schlenderten nun in Richtung Schwarzenbergplatz. Mit nervösen Fingern fischte Bronstein eine Zigarette aus seinem Etui und stellte sich sodann in einen Hauseingang, um selbige anzuzünden. Mit einer Mischung aus Resignation und Erleichterung blies er den Rauch aus. Und vor ihnen tauchte die Annagasse auf. Dort logierten, wie allgemein bekannt war, die Liebesdienerinnen, die etwas weniger exklusiv waren als jene vom Graben. Vielleicht, so dachte Bronstein, sollte er in einem Maison de Tolerance einkehren, sich mit der gesamten Barschaft, die er noch bei sich hatte, noch einmal ordentlich verwöhnen lassen, um dann, so rundum befriedigt und hoffentlich auch leidlich betrunken, nach Hause zu wanken, dort die Dienstwaffe aus dem Futteral nehmen und Ende der Fahnenstange.
Futteral? Wie war er nur auf dieses Wort gekommen? Ah ja, wohl weil Pokorny schon die längste Zeit mit einem solchen spielte. „Sag, was is denn des?“
„Des? A Futteral! Für a Messer, nehm ich an.“
„Schlauberger, des seh ich selber. Aber wo hast des her?“
„Des hat der Verdächtige am Schalter liegen lassen. Der Beamte hat g’sagt, der Kerl hat sein Messer aus der Tasche gezogen und damit die Postanweisung geöffnet. Die hat er dann eing’steckt, aber das Futteral hat er vergessen.“
Na immerhin, wenigstens hatten sie ein Beweisstück sichergestellt. Aber weiterhelfen würde ihnen das auch nicht. Sie waren so oder so verloren, egal, welche Räuberpistole man dem Gayer auch immer auftischen würde. Bis zum Gayer war es im Übrigen ein verdammt weiter Weg. Gut, Golgatha war auch kein Spaziergang gewesen. Aber Bronstein war nicht Jesus Christus, auch wenn er mittlerweile ebenfalls ein zentnerschweres Kreuz mit sich herumschleppte und seiner beruflichen Kreuzigung entgegensah. Doch im Gegensatz zum Heiland konnte er mit der Elektrischen zu seiner Hinrichtung fahren. Am Kolowrat-Ring gab es sicher eine Haltestelle. Bronstein sah sich um.
In einiger Entfernung näherte sich eine Mietdroschke. Mit dem Wagen zur Justifizierung? Das hätte doch wenigstens Stil! Zumal wenn er sein Geld ja doch nicht für eine Venuspriesterin aufwenden würde. Beinahe automatisch nahm er vom Kennzeichen des Automobils Notiz. Die Nummer kam ihm merkwürdig bekannt vor.
Die Nummer!
Ja, war denn das die Möglichkeit! Sollte er wirklich so viel Glück haben? Bronstein rieb sich unwillkürlich die Augen, sah noch einmal hin, eben passierte ihn der Wagen. Kein Zweifel. Es war das Auto, das den Verdächtigen von der Hauptpost weggefahren hatte. Bronstein steckte sich Daumen und Zeigefinger in den Mund und ließ einen schrillen Pfiff los, dann winkte er hektisch mit den Armen. „Was is, hörst?“ Pokorny blickte ihn verständnislos an. „Das Auto, du Gablitzer! Das ist das Auto von der Post! Wir müssen es aufhalten.“
Nun schaltete endlich auch Pokorny. Er schrie und fuchtelte gleichsam
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