Tintorettos Engel
weiter als ein Rädchen in der Profitmaschinerie ist. Ich aber habe auf Profit verzichtet. Ich habe kostenlos gearbeitet. Das ist es, was sie mir nicht verzeihen können.
Ich habe meinen Preis bezahlt. Zeitlebens hassten mich die Maler. Bis ich alt genug war, um den Eindruck zu erwecken, mich bald zu verabschieden, war mir keiner von ihnen ein Freund. Ich hatte Schauspieler, Drucker, Dichter, Musiker und auch Mediziner, Reeder, Sekretäre, Senatoren und Admiräle - und sogar einen Dogen - zum Freund. Maler nicht. Wenngleich es mir lieb gewesen wäre: Mit wem hätte ich besser meine Entdeckungen teilen können? Als mein Name Bedeutung erlangte, kannten sich meine
Auftraggeber zwar mit antiken Statuen, Medaillen, Edelsteinen, Schmuckstücken und Malerei aus, allerdings nur so, wie Laien sich eben auskennen. Nur ein Künstler weiß, was dieses schimmernde Streiflicht am Horizont, das Streifen des Pinsels, das langsam Formen annimmt, oder die Liebkosung einer Farbe, die einen Mundwinkel ziert, wirklich ist. Diesen Freund und Maler musste ich mir aus eigenem Samen selbst erschaffen.
So armselig die Person gewesen sein mag, die mit ihrem Gift um sich gespritzt hat, so bedeutungslos und längst vergessen ihre Ansicht auch war - ich habe sie nicht vergessen können. Die Wunden an unserer Selbstachtung verheilen nie. Werden sie nicht zu Wundbrand, hinterlassen sie eine hässliche Narbe. Die Seele eines alten Künstlers ist wie der Körper eines Kriegers, der in zu vielen Schlachten gekämpft hat. Gleich welche Elogen heute auf mich gehalten werden, sie können es nicht wiedergutmachen. Meine Eitelkeit aber ist mit meinem Eifer untergegangen. Ich habe sie in Madonna dell’Orto zusammen mit meinem liebsten Werk begraben.
«Euer Hochwürden», wandte ich mich an den Prior,«der Meister dieses Bildes verspürt ein arges Grummeln im Magen, und in seinem Darm beginnt es zu donnern. Dieses Gerippe hier muss umgehend nach Hause gebracht werden, oder es wird einen toten Meister geben: Lasst endlich das verfluchte Bild aufhängen.»
Während die Nägel in die Wand gehämmert wurden und die Grablegung ihren Platz in der Kapelle einnahm, sah ich auf einmal klar und deutlich Zuane vor mir, wie er am Tag, als er fortging, auf den Fondamenta vor dem Haus stand, die Samtmütze auf dem Kopf und den Luchspelz mit den goldenen Knöpfen um die Schultern. Es war im Januar oder Februar, scheinbar ist seitdem sehr viel Zeit vergangen - aber es könnte sich auch bloß um ein paar Jahre handeln. Meine Zeit war an jenem Tag stehen geblieben, als sie gegangen ist. Ohne Sinn und Zweck ziehen seitdem die Jahreszeiten vorüber, alles ist durcheinander, und das Jetzt ist nur eine Abfolge
von Tagen, die in mir keine Spuren hinterlässt, da mir nichts Bedeutsameres mehr passieren kann. Giovanni hatte seine Bilder in eine Ledermappe sortiert.«Ich werde sie verkaufen», hatte er zu mir gesagt, als er merkte, dass ich sie betrachtete.«Mit den bei dir abgemalten Werken werde ich keinen Hunger leiden müssen.»Er wusste, wie er mich verletzen konnte, und tat es gern.«Du hast die Pinsel nicht mitgenommen, Zuane», stellte ich fest.«Auch nicht die Stifte, die Kreide und das blaue Naturpapier.»«Brauche ich nicht», erwiderte er.An jenem Tag verzichtete er darauf, Maler zu sein, und auf alles andere, was ich gern für ihn gewollt hätte. An ein und demselben Tag hat er sich von mir und von sich selbst befreit. Ich hielt ihm vor, nicht genug Liebe für die Malerei aufgebracht zu haben.«Sie auch nicht für mich», entgegnete er verbittert.«So sind wir eben beide Ehebrecher.»
Es war im Morgengrauen. Unter dem Ponte Brazzo vertäut lag das mit Seide vollbeladene Boot, mit dem er Venedig verließ - und mich. Ich hätte ihn zurückhalten sollen, wusste ich doch, dass er es allein nicht schaffen würde. Aber ich habe nicht die richtigen Worte gefunden, ihn am Gehen zu hindern, Herr. Ich hob sie für einen Tag auf, der nicht kam. Wäre er zurückgekehrt, ich wäre vor ihm in die Knie gegangen. Mehr als den treuen Dominico hätte ich ihn, meinen verlorenen Sohn, verehrt.
Aber das Einzige, was ich vor meinem davonziehenden Sohn zum Ausdruck bringen konnte, war meine Enttäuschung. Nachsichtig sind wir mit denen, die es nicht verdienen - und streng mit denen, an die wir geglaubt haben. Doch nur die, die wir lieben, können uns enttäuschen. Zuane hatte versagt, aber auch ich versagte, und mein Junge wurde ein Landstreicher. Ich war blind vor Wut und
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