Tintorettos Engel
bereits ein unabhängiger Maestro, war frei - Herr meines Lebens, ich wusste, was ich wollte, und kämpfte dafür. Aber er war noch wie ein kleiner Junge. Dünn und schmächtig, mit blonden Locken und zarten, engelsgleichen Gesichtszügen. Er verspürte nie das Bedürfnis zu reden. Selbst wenn er mit uns zusammen war, machte er den Eindruck, als wollte er sich auflösen, als wäre er kurz vor dem Verschwinden.«Ich werde dir nicht einen Taler hinterherschicken», drohte ich ihm.«Wenn du jetzt mein Haus verlässt, bist du nicht mehr mein Sohn. Und wenn sie mir noch so häufig erzählen, dass man dich ins Armenkrankenhaus irgendeiner fremden Stadt eingeliefert hat, von mir bekommst du nichts.»Mit einem milden Lächeln auf den Lippen erwiderte er:«Ich habe dich auch nicht darum gebeten, Papa.»
Das stimmte. Giovanni hat mich nie auch nur um einen Dukaten gebeten. Das Einzige, was wir gemein hatten, war unser maßloser Stolz. Er hat gekonnt allein versagt, wofür ich ihn achte. Ich wünschte mir, er hätte mich um Geld gebeten, hätte mir gestanden, dringend welches zu benötigen. Ich hätte es ihm gegeben. Aber er bat mich nicht darum - aus Angst, ich würde mir mit dem Geld seine Rückkehr erkaufen wollen.
Ich schenkte ihm das Kostbarste, was ich besaß; meine Laute. Die Musik hat mein Leben derart bereichert, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt von diesem Instrument trennte. Mein Freund Marcolini hatte es mir vererbt, der es wiederum von Francesco da Milano bekommen hatte, dem größten Virtuosen des Jahrhunderts. Nach ein paar unbeholfenen Versuchen, das Geschenk abzulehnen, nahm Giovanni die Laute schließlich doch an - sich für sie zu bedanken gelang ihm allerdings nicht.«Sie wird auf der Reise kaputtgehen», gab er zu bedenken,«sie ist zu zerbrechlich. »Ich dachte nur, dass auch er zu zerbrechlich sei und auf der Reise kaputtgehe. Aber auch das sagte ich ihm nicht. An jenem
Morgen war zwischen uns bereits alles verloren. Der blasse junge Mann mit der Laute unter dem Arm, der auf das Schiff der Seidenhändler stieg, um wie ein Pilger seinen Fuß aufs Festland zu setzen, war für mich ein Fremder. Nie habe ich ihn richtig kennengelernt. Mein Sohn hat sich vor mir verbarrikadiert, als wäre ich ein böses Ungeheuer, das ihn vernichten wollte. Nie hat er sich mit mir auseinandergesetzt. Er hielt sich in seinem glatten und zerbrechlichen Körper und hinter seiner Musik versteckt. Bis heute verstehe ich nicht, wonach er suchte. Und warum er nicht einfach der sein konnte, der er war: der Sohn, den ich liebte.
Als die Männer die Taue losmachten, stürzte meine Frau auf die Brücke und rief seinen Namen. Giovanni wollte gehen, ohne sich von ihr zu verabschieden, doch sie hatte gespürt, dass er sich entzog. Faustinas herzzerreißende Stimme hätte eine Metallstange zum Schmelzen gebracht. Giovanni aber drehte sich nicht um. Den Blick nach vorn gerichtet, blieb er auf dem Kahn stehen - dünn und schmächtig in seinem Luchspelz. Den Nacken, die Schultern und die langen, vom Wind zerzausten Haare waren alles, was er uns zum Abschied bot. Meine Frau rief mit immer wehleidigerer Stimme seinen Namen - Zamba, Zuane, Zaneto -, bis das Schiff im Nebel verschwand. Ich nahm meine schluchzende Gemahlin in die Arme und führte sie zurück ins Haus. An jenem Tag verloren wir unseren Sohn.
Einige Monate später erhielt sie einen Brief von ihm. Er war einem Boten der kaiserlichen Post anvertraut worden, die Herkunft war jedoch nicht vermerkt. Giovanni teilte mit, dass er vorhabe, sich im Friaul dem Gefolge eines madjarischen Priesters anzuschließen, also die Grenzen der Republik zu überschreiten. Er beabsichtige, in den Orient nach Aleppo oder Trapezunt aufzubrechen, um die Musik der mystischen mohammedanischen Tänzer zu studieren und aufzuschreiben, die sich durch schnelles Drehen im Kreis in Ekstase bringen - Marco Augusta habe ihm davon erzählt. Außer ihrem Gott besäßen diese Männer nichts, sie
lebten von Almosen, schliefen unter Brücken und am Wegesrand. Er wollte also in ein fremdes Land gehen, wo ihn keiner kannte - und wo auch mich keiner kannte.
Giovanni schrieb ausschließlich seiner Mutter. Aus den zusammenhanglosen und immer konfuseren Zeilen, die Faustina abends, wenn die Familie um den Kamin versammelt war, vorlas, konnte man die Schwermut unseres Sohnes heraushören. Trotz seiner zweiundzwanzig Jahre waren seine Pläne nicht weniger wirr und unrealistisch als im Alter von zehn Jahren. Noch immer suchte
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