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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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vielleicht das letzte Mal an diesen Häusern entlang. Hätte mich im Alter von dreiundzwanzig Jahren ein Kaiser an seinen Hof geladen, hätte ich dann abgelehnt? Damals war ich ein Niemand. Ich bemalte Truhen und verschenkte Bildchen, die nichts mit mir zu tun hatten. Von La Tintoretta sprach dagegen ganz Venedig. Fremde, die auf der Durchreise waren, kamen in mein Haus, um sie sich wie eine Attraktion anzugaffen. Und so wie ich meine Bilder herzeigte, so zeigte ich auch sie vor. Ich war stolz auf sie, weil auch sie mir gehörte. Dachte ich.
    «Ich bin überwältigt», sagte Marietta leise.«Ich habe eine solche Ehre doch gar nicht verdient.»Hin und wieder tauchte aus dem Nebel ein Hausknecht auf, der an einem Stab eine Öllampe hochhielt, wodurch einen Moment lang ein Abschnitt der Fondamenta, der Schatten eines Baumes, die wie aus einem Blatt Papier herausgeschnittenen Bogen einer Loggia oder der ins Nichts mündende Bogen einer Brücke erleuchtet wurden. Dann verschwand die Laterne wieder, und wir waren erneut allein. Ringsum nichts als dieser dichte, nasse Nebel. Mariettas feuchtes Haar glänzte.«Ich freue mich für dich», versicherte ich ihr.«Ein Meister muss stolz sein, wenn sein bester Schüler ihn nicht mehr braucht. Im Grunde muss das Ziel jeder Ausbildung genau darin bestehen: in der Trennung.»«Oh, Jacomo!», rief sie. Wir umarmten uns. Marietta roch nach Asche, Herr, dem Geruch der Vergänglichkeit. Dass sie weinte, merkte ich erst, als sie zu schluchzen begann und ihr Gesicht an meiner Schulter vergrub.«Was ist los, mein Funke?», fragte ich sie.«Was ist?»«Nichts», erwiderte sie,«nichts, ich bin glücklich.»
    Ich lieh ihr mein Taschentuch. Sie schneuzte sich die Nase und zog sich hastig die Handschuhe wieder über. Schon jetzt sehnte ich mich nach ihr, ich fühlte ein bohrendes Stechen im Kopf und bekam Magenkrämpfe. Es war eine Sehnsucht, die mich noch heute quält. Immer wieder versuchte ich mir selbst gut zuzureden, dass es letzten Endes auch meinem Wunsch entspreche. La
Tintoretta eine bekannte Malerin jenseits der Grenzen, in ganz Europa, welcher noch so verrückte Traum war je so glücklich ausgegangen? Als ich ihr jedoch das Malen beibrachte, hätte ich im Leben nicht daran gedacht, dass ich sie lehrte, mich zu verlassen.
    Marietta trocknete sich mit dem Pelzärmel die Tränen, die ihr unaufhörlich in die Augen stiegen, ihren Blick verschleierten und die Wangen hinunterliefen. Ich zog mir die Luchsfellmütze über die Stirn. Es war eisig kalt. Sie fragte mich:«Was soll ich deiner Meinung nach tun, Papa?»
    «Kini wird nach den Feiertagen nach Augsburg zurückfahren», erwiderte ich,«du wirst mit ihm gehen.»Doch dass eine junge Frau mit Unbekannten reiste - ohne Eltern oder Ehegatten -, kam nicht infrage. Ihr Ruf wäre vernichtet. Und auch an mir wäre ein solcher Skandal nicht spurlos vorübergegangen.«Marco wird mit dir fahren. Er wird sich freuen, einmal nach Deutschland zu kommen, zumal ich ihn hier nicht gebrauchen kann, er verursacht nichts als Kosten und Ärger. Mit Zuane sieht es dagegen vielversprechend aus, sobald der Bruch geheilt ist, werde ich ihn in meine Werkstatt aufnehmen.»Marietta sah aus, als wollte sie mir etwas sagen.«Ich werde es dir nicht verwehren, falls es das ist, was du befürchtest», versicherte ich ihr.«Ruhm ist Ruhm. Du bist dreiundzwanzig Jahre alt, es ist dein Leben.»Da bemerkte ich, dass sie sich mit ihren Fingern etwas Ölfarbe auf die Wange geschmiert hatte - und die nicht enden wollenden Tränen leuchteten immer wieder in der Dunkelheit auf.«Und du?», fragte sie mich.«Wirst du nicht mitkommen? Möchtest du mich nicht begleiten?»
    «Ich hasse es zu reisen», erwiderte ich schroff. Über meine heftige Reaktion erschrak ich selbst, Herr.«Ich hasse diese Poststationen mit ihrem Pferdegestank, die Kutschen mit den nach Leder und Schweiß stinkenden Sitzen, Städte, die ich nicht kenne, Leute, die ich nicht verstehe, und ehrlich gesagt mag ich auch keine Kaiser. Ich bin stolz darauf, in einer Republik zu leben. Sie mag klein sein, aber immerhin frei. Ich mag auch keine Höfe, von
der Heuchelei und Unterwürfigkeit der Höflinge ganz zu schweigen. Ich glaube nicht, dass ein großer Meister neben einem König leben kann. Ich bin kein Paradepferd wie Tizian. Ich bin ein Wildpferd, das es mit einem Sattel auf der Kruppe nicht aushält. Meine Freiheit ist mir lieb und teuer, niemals würde ich sie verkaufen, um dafür die deformierten

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