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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Tages zu heiraten, bei ihm als Haushälterin arbeitete. Bekannte, Verwandte jeglichen Grades, Enkel und Diener erhofften sich allesamt, ihm ein großes Stück vom Erbkuchen entlocken zu können, sodass sein Haus, sobald er ein Anzeichen von Krankheit zeigte, zum Ziel rührseliger Prozessionen verlogener Anteilnahme wurde. Der Alte aber hatte ein äußerst empfindliches und wankelmütiges Wesen und änderte Jahr für Jahr seine Meinung. Gespannt und besorgt zugleich wartete ein jeder auf sein Ableben, wusste man doch nicht, wen er in seinem letzten Testament bedacht oder enterbt hatte. Als die Rochusbruderschaft mich beauftragte, die Kreuzigung zu malen, und die Vorsitzenden ihm erklärten, es handle sich um ein kolossales, überwältigendes, ja zauberhaftes Werk, vertraute er ihrem Urteil und begann sich damit zu rühmen, mein Onkel zu sein. Aus heiterem Himmel wurde ich sein Lieblingsneffe, Blut von seinem Blut.
    «Es ist eine etwas beschämende Verwandtschaft», gab Faustina zu bedenken,«aber letzten Endes sollten wir nicht zimperlich sein, Geld stinkt nicht, und immerhin ist dein Oheim so nett und
hinterlässt dir etwas.»Wir zwangen uns, ihn hin und wieder zu besuchen. Der alte Häscher, der sein Leben lang Verbrechern aufgelauert, Dirnen verhaftet und Mörder ausgepeitscht hatte, besaß eine Schwäche für Marietta. Er begehrte meinen Funken auf eine geradezu unziemliche Art, drang mit seinen Blicken in sie und bat mich sogar eines Tages, als er dreiundachtzig und sie einundzwanzig war, mit einem schmachtenden Seufzer um ihre Hand. Auch ohne Mitgift wolle er sie nehmen. Er wusste genau, dass ich sie, da ich so viele eheliche Töchter hatte, nicht mit einer gebührlichen Mitgift ausstatten konnte, ohne die Gefühle meiner Frau zu verletzen und innerhalb der Familie Zwietracht zu säen.«Gib sie mir, bevor sie sich ein anderer schnappt», schlug er mir vor,«so bleibt sie wenigstens in der Familie. Ich werde sowieso bald sterben, niemals wird sie also darben müssen.»«Nie im Leben werde ich dir meine Marietta verkaufen», entgegnete ich. Grinsend erwiderte er, dass sie sich eines schönen Tages selbst verkaufen und ich es bitterlich bereuen werde, sein großzügiges Angebot nicht angenommen zu haben. Da sagte ich zu ihm, dass mich einzig und allein die Achtung vor seinem Alter daran hindere, ihm das Gesicht zu zerkratzen. Daraufhin fragte er, ob ich wüsste, dass Marietta von den Jungen aus Venedigs besten Adelsfamilien Osdrubaldos Tochter genannt wurde.
    «Nein, und es kümmert mich einen Dreck», antwortete ich.«Sollte es aber, Jacomo, und du solltest wissen, wer die Tochter Osdrubaldos war.»So erzählte er mir die Legende von Osdrubaldo, dem König von Ungarn. Dieser hatte eine Tochter von einzigartiger, zauberhafter Schönheit, die den Männern sehr gefiel und die im Lauf der Zeit selbst Gefallen an den Männern fand - besaß sie doch eine Schwäche für die Liebe. Der König aber entwickelte eine wahnsinnige Eifersucht. Obwohl sie im heiratsfähigen Alter war, wollte er sie nicht aus der Hand geben. Um sie von den jungen Freiern fernzuhalten und sie ganz für sich zu bewahren, sperrte er sie in einen hohen Turm, wo ein paar Edelfräulein auf sie aufpassten.
Da die Mutter der Prinzessin tot war, konnte sie sich nicht mehr für sie einsetzen. Aus Mitleid mit seiner Tochter, die er zur Einsamkeit verdammt hatte, schenkte ihr König Osdrubaldo einen Hund, der ihr Gesellschaft leisten sollte. Kurze Zeit später wurde Osdrubaldos Tochter schwanger. Eine höchst verwunderliche Tatsache, hatte doch niemand den Turm betreten. Die Tochter gestand, dem Hund beigewohnt zu haben. In Anbetracht dieser Ungeheuerlichkeit wollte der Vater sie töten. Die Tochter aber warf ihm vor, selbst das Ungeheuer zu sein, habe er sie doch der Möglichkeit beraubt, ihr natürliches Verlangen zu befriedigen, das sich bei Frauen in derselben fleischlichen Lust äußere wie bei Männern. So ließ König Osdrubaldo von seinem Vorhaben ab und suchte ihr einen willfährigen Ehemann, indes die Prinzessin die Geißel der Welt gebar, bestehend aus einem menschlichen Körper und dem Gesicht eines Hundes.
    «Marietta mag keine Hunde», sagte ich und tat unbekümmert, obwohl sich von dieser widerlichen Geschichte mein Magen umgedreht hatte.«Ich versuche dich lediglich darauf hinzuweisen, wie du es schaffen könntest, deine Tochter von so einzigartiger, zauberhafter Schönheit nicht zu verlieren», erwiderte er.
    Zwei Jahre später heiratete

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