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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Früchte tragen sollte. Als Entlohnung erhielt ich das Versprechen, Tizians Vermittlerposten zugewiesen zu bekommen, sobald dieser frei werde. Was nie eintraf. Und nun war alles der Gefahr der Flammen ausgesetzt.
    Die Glocken Hunderter Pfarrkirchen läuteten, überall wurde Alarm geschlagen. Die Sensa war voller Boote mit freiwilligen Helfern, die zum Dogenpalast strömten und beim Vorbeirudern riefen, dass der Brand außer Kontrolle geraten sei. Könne man ihn nicht löschen, stünde bald ganz Venedig in Flammen. Da wurde mir klar, dass Gefahr drohte, dass sich mein Name im Himmel verflüchtigte. Ich knöpfte meine Jacke zu und zog mir die Pelzmütze über die Stirn.«Ich komme mit», sagte Marietta und eilte die Treppen hinunter.«Schließlich war ich dabei, als Das Jüngste Gericht aufgehängt wurde. Du kannst mir nicht verbieten, alles zu tun, um es zu retten.»Sie ergriff Hut und Handschuhe, warf sich den Pelzmantel über - denn es war schrecklich kalt in diesen Tagen - und folgte mir.
    In den überfüllten Gassen kam man nur mühsam vorwärts. Die Ebbe in dieser trockenen Jahreszeit - der Wasserstand lag beinahe drei Arm unter Normalniveau - hatte den grünen, glitschigen
Schleim auf den normalerweise unter Wasser liegenden Stufen, das schwammartige Moos auf den Wandsockeln und die triefenden Häuserfundamente zum Vorschein gebracht: ein Schauspiel, das etwas Obszönes an sich hatte. Es kamen Dinge ans Tageslicht, die besser im Verborgenen geblieben wären: Trauben von angewurzelten Pfahlmuscheln, von Rost zerfressene Eisengitter, vom Wasser angegriffener Marmor, Jahre zuvor auf Grund gelaufene Boote, sich zu Pyramiden türmendes Steingut, einst ins Wasser geworfenes Geschirr, Legionen von schwarzen Ratten mit schnurgeraden Schwänzen, von Larven wimmelnder Dreck - die geheime, schleimige Vulva der Stadt. Ohne Wasserkleid war Venedig nackt. Die ausgetrockneten Kanäle hatten sich in stinkende Kloaken verwandelt. Wenn es doch nur geregnet hätte, wenn nur die Schiffe mit der Löschvorrichtung zum Dogenpalast durchgekommen wären, so viele Werke hätten gerettet werden können! Aber es regnete schon seit Wochen nicht mehr.
    Plötzlich legte sich der Wind, und dichter Nebel zog auf. Als wollte er die Zerstörung vor uns verbergen, breitete er sich mitleidvoll über unseren Köpfen aus. Wir tauchten in eine Wolke ein, weiß wie in einem Glas geronnene Milch. Außer den Sockeln unsichtbarer Gebäude, vorübereilenden Schatten und dem Lichtschein der Fackeln an Eingangstoren war nichts mehr zu sehen. Dass wir in der Nähe vom Markusplatz waren, erkannten wir lediglich daran, dass auf einmal winzig kleine Flocken durch den Nebel wirbelten: die Asche des Palastes.
    Als wir ankamen, waren an einigen Stellen die Feuer noch nicht vollständig gelöscht. Die Luft war glühend heiß. Mit Herzklopfen stiegen wir die prunkvolle Treppe hinauf. Es herrschte eine unnatürliche Stille. Ein ganzer Flügel des Dogenpalastes war verwüstet worden. Die Tapeten hingen in Fetzen von den Wänden, die Balken an den Decken hatten an einigen Stellen nachgegeben und beim Aufprall den Boden durchstoßen. Überall waren Pfützen, in denen Papier herumschwamm - Erlasse, Verordnungen, Urteile.

    Dessen ungeachtet war es im Ratssaal überfüllt wie während der Abstimmungen. Rußgeschwärzte Werftarbeiter, die den Brand gelöscht hatten, und Senatoren, die den Schaden in Augenschein nahmen. Es wurde lebhaft diskutiert. Fünfzig-, sechzigtausend Dukaten allein für die Wiederherstellung des Gebäudes, vielleicht auch mehr. Sollte man den Palast nicht besser gleich abreißen und ganz neu bauen? Er war doch ohnehin alt und häßlich. War es ein Unfall oder Brandstiftung? Und wer könnte Interesse daran haben, das Herz der Republik anzugreifen. Die Habsburger, die uns von der Landkarte Europas streichen wollten, da wir genau in der Mitte der Königreiche Spanien, Italien und Österreich lagen, wie ein Hindernis, das man nicht besiegen konnte und daher anderweitig aus dem Weg schaffen musste? Die Engländer, die uns den Handelsweg zum Orient streitig machen wollten? Eine Verschwörung? Eine weitere Explosion? Schießpulver ins Herz unserer Zivilisation?
    Freiwillige aus allen Stadtteilen waren herbeigeeilt, um zu retten, was noch zu retten ging. Unter sie mischten sich Banditen, die Papiere stahlen, Unterlagen beseitigten und geschmolzene, vom Dach gefallene Bleiplatten einsammelten, um sie unter der Hand wieder zu verkaufen. Sämtliche Maler

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