Tintorettos Engel
umgehend das Thema. Im März teilte mir Marietta mit, dass ihre heilige Katharina endgültig trocken sei. Ob ich sie nicht begutachten wolle? Mit gespreizten Fingern zog ich an einem Zipfel das Tuch von der Leinwand. Widerwillig beschaute ich mir nur kurz das Bild, an dem sie den ganzen Winter über gearbeitet hatte. Es war das Beste, was sie je gemalt hat.
«Gefällt es dir?», fragte sie, weil ich schwieg.«Nein», erwiderte ich instinktiv, da ich spürte, was sie eigentlich von mir wissen wollte.«Das heißt ja, es ist eine gute Arbeit, eine interessante Idee, der Entwurf ziemlich gut, die Farbzusammenstellung wirkt freundlich, der Boden und die Bücher sind optimal gelungen. Nur die Kette ist ungenau, die Perlen sehen aus wie Knöpfe. Beim Hintergrund ist geschludert worden, die Landschaft ist oberflächlich und so dürftig wie die eines Anfängers, aber das ist nicht weiter schlimm, da die Kirche ohnehin dunkel ist und man es da oben, wo es hängen wird, nicht bemerkt. Das Gewand ist gut, das warme Licht auch, die Farbe allerdings zu dünn aufgetragen, man sieht die Struktur der Leinwand.»«Die Heilige, Jacomo», forderte mich Marietta auf.«Die Geste zeugt nicht von besonderer Zierde … der Körper ist … nun die hervorstehende Hüfte sieht nicht besonders heilig aus», stammelte ich,«sie könnte eine Ballerina sein … Das
Gesicht, nun, das Gesicht ist wunderhübsch, ausgezeichnet, muss ich sagen.»«Papa …», hob Marietta an. Sie fuhr jedoch nicht fort, hielt sich vielmehr die Hände vor den Mund, kehrte mir den Rücken zu und erbrach sich in einer Farbschüssel.«Was ist?», fragte ich sie besorgt.«Nichts, mir ist nur ein wenig übel», murmelte sie.
«Bist du etwa schwanger?», entfuhr es mir. Ich bereute die Frage augenblicklich. Seit dem Tag ihrer Vermählung fragte meine Frau Marietta mit einer Beharrlichkeit, die auf eine mir unverständliche Unruhe schließen ließ, ob sie jeden Monat ihre Mädchenblüte habe, ob ihr übel sei oder sie sich schwach fühle. Da Marietta das Letztere stets kurz und knapp verneinte, begann Faustina nach einem Jahr, mir Vorwürfe zu machen, ich hätte die Seele meiner Tochter mit dümmlicher Schwärmerei von Ruhm und Ehre vergiftet, sie denke nur noch ans Malen, ich hätte sie verdorben und gegen die Natur gesündigt, und nun räche sich die Natur. Malen sei nichts für Frauen, niemals hätte ich sie bei mir aufnehmen dürfen. Ich erwiderte, dass die Natur nichts damit zu tun habe. In diesem Winter wies mich jedoch Marco Augusta ganz nebenbei darauf hin, dass ihre Wohnung für ein Paar gewiss ideal, für eine Familie jedoch zu klein sei. Sobald sie ein Kind bekämen, sei es sicher angebracht, wenn er und Marietta sich eine andere Bleibe suchten - sicherlich im selben Viertel, aber in einem anderen Haus.«Ist Marietta damit einverstanden?», fragte ich ihn.
«Selbstverständlich», antwortete der Juwelier.«Verzeiht mir, liebster Vater, doch seit einiger Zeit treibt mich der Gedanke um, in ein eigenes Haus ganz für uns allein zu ziehen. Ich bin nunmehr ein Meister mit drei Gesellen, fast dreißig Jahre alt, und meine Frau kann nicht mehr länger Eure Tochter sein, Maestro, sie muss eine echte Hausherrin und die Mutter unserer Kinder werden. Leider will Marietta von Umzug noch nichts wissen, und Ihr kennt ihren sturen und unbeugsamen Willen besser als ich. Daher haben wir folgende Abmachung getroffen: Sobald uns ein Kind geschenkt wird, suchen wir uns eine geräumigere Unterkunft.
»Der aufrichtige Deutsche bemerkte es zwar nicht, aber in der Vereinbarung erkannte ich sofort Mariettas Tricklist. Der Fall schien mir daher derart abwegig und unwahrscheinlich, dass ich mich geschwind einverstanden erklärte. Seitdem aber konnte ich es mir nicht verkneifen, mir Marietta, wenn sie in die Werkstatt herunterkam - um ihren Brüdern zu helfen, um Kopien anzufertigen oder eines meiner Arbeiten zu Ende zu bringen -, im Profil zu betrachten. Marietta war aufgeblüht, als hätte irgendetwas, das sie seit Langem unterdrückte, Mittel und Wege gefunden, ihr zu entsprießen. Sie hatte fülligere Formen angenommen, allerdings nicht aus dem von ihrem Gemahl ersehnten Grund. Marietta hätte ihm nie gestattet, sie mir wegzunehmen.
Marietta schwieg und wischte sich den Mund mit einem Öllappen ab.«Ich habe gefragt, ob du schwanger bist, Funke?», fuhr ich sie an. Ich hatte das Gefühl, ein Nagel würde sich durch meine Eingeweide bohren. Verstehst du, Herr, ich zweifelte an ihr. Mich
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