Tintorettos Engel
werden, da jede Materie in irgendeiner Form weiterlebt, werde ich möglicherweise im nächsten Leben als Kamel auf die Welt kommen.
Ich war also das Kamel und der Raum die Mondwüste. Der Enttäuschung meiner jüngsten Töchter, einen solch alten Vater zu haben, versuchte ich dadurch entgegenzuwirken, dass ich eine körperliche Kraft herauskehrte, die ich gar nicht mehr besaß, und mir die wildesten Spiele für sie ausdachte. Als meine ersten Söhne auf die Welt kamen, hatte ich zwar das richtige Alter, aber die Malerei sog all meine Energie auf. Ich spielte nie mit ihnen. Nicht ich habe mich auf sie eingelassen, sondern sie waren es, die in meine Welt eintauchten. Und alle wollten - oder zumindest meinten sie es zu wollen - Maler werden. Die kleinen Mädchen wetteiferten dagegen um das Recht, an meinen Haaren wie an Zügeln herumzuziehen und auf dem bizarren, exotischen Tier zum Schloss der Mondfee zu reiten - das hieß zur Geschirrtruhe, auf der sich Marietta niedergelegt hatte, die so tat, als schliefe sie. Die auf mir reitende Amazone hatte die Aufgabe, die Prinzessin wachzuküssen und nach Hause zu bringen. Es war ein albernes und anstrengendes Spiel, das uns jedoch für lange Zeit beschäftigte. Alles, was ich meinen Mädchen schenken konnte, waren meine Phantasie und ein paar der Arbeit gestohlene Stunden. Deshalb, Herr, machte ich auf die junge Frau im Haus gegenüber den Eindruck, als wäre ich der perfekte Vater, und meine Kinder, als wären sie glücklich.
Donna Betta war es, die sich eines Sonntags in die Kirche Madonna dell’Orto schlich und an mich herantrat.«Maestro», raunte sie mir zu,«mir ist zu Ohren gekommen, dass Eure Tintoretta geheiratet hat. Meinen herzlichsten Glückwunsch.»An ihrer
Kleidung und der Qualität des Stoffes war zu erkennen, dass sie eine Kupplerin mittleren Ranges sein musste: Für eine alles umfassende Gefälligkeit würde sie nicht mehr als zehn Dukaten verlangen.
Meine Familie nahm auf unserer Bank im mittleren Kirchenschiff Platz. Beunruhigt drehte sich meine Frau zum Eingang um - sobald ich nicht mehr an ihrer Seite bin, wird sie unruhig. Sie fürchtet sich vor dem, der ich bin, wenn ich nicht bei ihr bin. Wie ein Seemann, der das Land wittert, das er noch nicht gesichtet hat, witterte Faustina die Frauen, ohne die ich nicht auskam.«Eure wunderbare Marietta war Euch gewiss stets ein großer Trost», fuhr die Unbekannte fort.«Ihr werdet eine Frau brauchen, die sie Euch ersetzt. Nun, Maestro, ich hab eine für Euch aufgetan. Blond, zierlich, mit blaugrünen Augen wie ein Aquamarin und alabasterfarbener Haut. So eine findet Ihr in Venedig kein zweites Mal. Nur dass Ihr es wisst, fortan steht eine andere junge Tintoretta zu Euren Diensten. Sie verzehrt sich danach, Euch Vergnügen zu bereiten. Sie wird Euch jederzeit empfangen.»
Ob die Tintoretta jemals hübsch gewesen ist, weiß ich nicht. Zumindest behaupteten es jene, die sie hin und wieder aufsuchten. Doch ihr Körper war träge Materie. Ihre Augen hatten keinen Glanz. Männer bedeuteten für sie nichts als Erpressungen, Gold, Befehle, Samen und leere Versprechungen. Sie selbst war sie nur, wenn sie schlief. Ihr äußerer Eindruck schien nicht zu trügen: Sie war eine verwirrte, haltlose und einsame Frau.
Die Tage wurden immer kürzer. Der Winter hatte Venedig fest im Griff. Eine durchsichtige dünne Eisschicht hatte sich auf die Fondamenta, die Wasserpfähle und Fialen der Metallgitter gelegt. Wenn auch das Posieren mitunter lang und unbequem war, Andriana beschwerte sich nie. Als Marietta aber mit dem Gesicht der schönen heiligen Katharina fertig war und sie nicht mehr brauchte, verschwand Tintoretta umgehend. Vom selben Tag an,
als Marietta sie in meine Werkstatt holte, ging ich nicht mehr zu ihr. Wochenlang blieben die Fenster in dem grünen Haus verschlossen. Donna Betta ließ mich wissen, dass ich sie, wenn ich Andrianas Dienste noch einmal benötigte, bei ihrer Großmutter auf dem Land auf Malamocco antreffen würde. Selbstverständlich suchte ich sie nicht auf. Ich schickte ihr, was ich für angemessen hielt - eine Handvoll Goldknöpfe und ein Diadem aus silbernen Haarnadeln.«Damit die Signora versorgt ist», sagte ich zu Donna Betta und reichte ihr das Päckchen - sie begriff, dass es vorbei war.
Mehrmals fragte mich Marietta ganz unverfänglich, ob ich etwas von Andriana gehört habe.«Von wem?», fragte ich, als wüsste ich nicht, von wem die Rede war.«Ah, dein Modell.»Aber ich wechselte
Weitere Kostenlose Bücher