Tintorettos Engel
war geizig, aber heute glaube ich, dass er bei den Menschen zu schlecht weggekommen ist, auch, weil er anders war - und ich kenne den Preis, den man dafür bezahlen muss. Der krumme,
buckelige Mann zog die Juden seinen Höflingen vor, die Einfachheit auf dem Land von Goito dem Luxus im Palast. Seine Pagen mochte er lieber als seine Frau, und vergeblich versuchte er, vom Bischof von der Todsünde der Sodomie befreit zu werden. Meine von Neid zerfressenen Kollegen meinten, wir gäben ein gutes Paar ab, der Herzog und ich: der Ruchlose mit dem Buckel und der erbärmliche Zwerg.
Schließlich sagte ich dem Vermittler, dass mich meine Frau nicht ohne sie gehen lasse, ihre Eifersucht sei ja weithin bekannt. Großzügig wie er war, lud der Herzog gleich unsere ganze Familie nach Mantua ein. Aber Faustina und ich reisten allein. Seit einundzwanzig Jahren waren wir verheiratet. In dieser Zeit hatten wir zu viele Bilder, zu viele Kinder und zu wenig Zeit für uns gehabt.
Wenn du mir noch ein paar Jahre gibst, Herr, werde ich nur noch für sie leben. Ich werde ihr mein Alter widmen, so wie sie mir ihre Jugend gewidmet hat. Da meine Jugend unbedeutend war, ihre dagegen alles, was sie besaß, ist mein Alter als ein gleichwertiges Geschenk anzusehen - und ich werde meine Schulden bei ihr beglichen haben.
Seit unserer Hochzeit hatten wir nicht einen Tag für uns allein. Und nun schenkte ich ihr das, was sie von mir, seitdem wir verheiratet waren, erwartet hatte: das Leben einer edlen Dame. Ich hätte früher auf die Idee kommen sollen. Meine Frau war nämlich auf dieser Reise nach Mantua nicht mehr die verständnisvolle Glucke, die verantwortungsbewusste Hirtin ihrer Herde, die zu entwürdigenden Sparmaßnahmen gezwungene Hausherrin oder die vernachlässigte, von den vielen Schwangerschaften erschlaffte und ausgezehrte Achtunddreißigjährige. Sie wurde wieder zu dem jungen Mädchen, das ich einst geliebt hatte. Ihre Fröhlichkeit war für mich eine Absolution. Das Glück meiner Frau gehört vielleicht zu den wenigen Dingen, die mich Anstrengung, Grübeleien, Ausdauer und Zurückhaltung gekostet haben - und
nicht einen Tag oder Monat, sondern ein ganzes Leben habe ich daran gearbeitet.
Mantua übt einen wahrhaften Zauber auf mich aus. Jedes Mal scheint die Zeit stillzustehen. Wenn ich zurückkehre, bin ich wieder der Mann, der ich einmal war und bleiben wollte. In einer der dort verbrachten Nächte zeugten meine Frau und ich unsere letzte Tochter. Eigentlich war ich nicht mehr im richtigen Alter dafür. Sie war die allerletzte Frucht unserer Ehe. Du schicktest uns das Mädchen wie einen Tadel für meine Sünden - für jene, die ich begangen, und jene, die ich mir bloß gewünscht habe. Aber reicht denn in deinen Augen nicht schon der Wunsch allein aus, ist er nicht der Erfüllung gleichzusetzen? Worin sollte sonst der Unterschied zwischen deinem Urteil und dem der Menschen liegen? Mantua gab uns unsere Jugend, unsere verloren gegangene Zeit zurück. Gern wären meine Frau und ich dortgeblieben. Aber alles, was ich geschaffen hatte, war in Venedig. Und ohne mich war dieses Werk so zerbrechlich und anfällig wie ein Kartenhaus, das schon beim kleinsten Windstoß umfiel. Ich kehrte zurück.
Tintoretta schickte mir ihr Dienstmädchen.«Die Signora», sagte die Slawin unverschämt,«bittet den Maestro um die Herausgabe ihres Portraits.»Unnötig zu erwähnen, dass ich diese Kreatur weder gemalt habe, noch, dass es mir je im Traum eingefallen wäre, eine solch bedeutungslose Frau zu einem untrennbaren Teil von mir zu machen. Der Hintergedanke dieser Bitte war jedoch sonnenklar. Die von Andriana bisher gewahrte Diskretion über unser Verhältnis hatte ihren Preis. Ansonsten wäre es bekannt geworden - so wie viele andere auch. Adelige und Machthaber konnten sich solche Geschichten erlauben. Ich nicht. Ich konnte meiner Werkstatt keine derartige Kränkung zufügen - auch dir nicht. Ich hatte mich angeboten, im Auftrag einer Bruderschaft, die Gotteslästerer, Ehebrecher und Beischläfer aus ihren Reihen verstößt und peinlichst genau die Moral der Bürger überprüft, das Epos von der erlösten Menschheit darzustellen.
Ich war zu früh. Wie immer hatte ich es eilig. Sie saß in ihrem Schlafgemach vor einem Spiegeltisch, noch damit beschäftigt, sich die Haare zurechtzumachen. Der lange blonde Zopf lag wie ein Seil auf ihrem Rücken. Ohne sich umzudrehen fragte sie mich, ob ich mich um Andriana kümmern würde. Sie hatte also ihre
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