Tintorettos Engel
von ihr zu trennen war mir ein unerträglicher Gedanke. Und die Angst, sie zu verlieren, war so grauenvoll wie ein möglicher Verlust.«Ich weiß nicht, vielleicht machst du mich krank», sagte sie und warf den Lappen in den Abfalleimer.
An jenem Nachmittag musste ich einen sehr berühmten Professor der Universität von Padua portraitieren. Er war kahlköpfig wie ein Ei, hatte wurstige, in Ringe gequetschte Finger und listige, wimpernlose Augen. Während des Posierens rede ich normalerweise wenig. Höchst konzentriert versuche ich, es so kurz wie möglich zu machen. Dadurch erspare ich mir Zeit und Mühen sowie überflüssige Worte. Meine Schnelligkeit erfreute sowohl meine Kunden als auch mich. Der Professor war jedoch einer der bestangesehenen Ärzte der Republik. Sogar aus Paris reisten Studenten an, um seine Vorlesungen zu hören. Wir hielten uns allein im Wohnzimmer des Palazzo Contarini auf, wo er zu Gast war. Eine solche Gelegenheit bekäme ich nicht wieder. Ich fragte ihn,
ob ich seinen hohen Erfahrungsschatz in Anspruch nehmen und bei ihm eine Meinung einholen dürfe, um wieder innere Ruhe zu erlangen. Er forderte mich auf, den Fall darzulegen.
Nun, begann ich umständlich, ob er sich vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen veranlasst sehe, die Tatsache für unnatürlich zu halten, dass eine körperlich gesunde junge Frau, die mit einem ebenso körperlich gesunden jungen Mann verheiratet sei, nach dreieinhalb Jahren Ehe noch kein Kind in die Welt gesetzt hat.«Hatte sie schon einmal eine Abtreibung oder eine Fehlgeburt?», fragte mich der Professor, der versuchte, seine Gesichtsmuskeln beim Reden nicht zu bewegen.«Auch das nicht», antwortete ich.
Der Professor rückte sich auf seinem Stuhl zurecht. Ich bat ihn, den Ellbogen wieder auf der Lehne abzustützen, da sonst sein Arm in dem weiten Ärmel der Toga verschwinde. Er meinte, dass dieser Fall nicht selten auftrete.«Aber», erwiderte ich daraufhin,«für diese Frau war es als kleines Kind und auch eine Zeit lang im herangereiften Alter üblich, sich als Junge zu kleiden. Sie trug einen Jungennamen und benahm sich wie ein Junge. Haben diese Wirrnisse sie möglicherweise daran gehindert, eine richtige Frau zu werden? Haben sie sich vielleicht unheilvoll auf ihre Gebärmutter ausgewirkt und ihre Körpersäfte verdorben?»
Der Professor lockerte die Silberschnalle an seinem Samtgürtel, der ihm den Bauch einschnürte, und lachte laut los. Seine schwabbeligen Wangen bebten wie Ricottakäse. Er fegte meine Vermutung als Blödsinn vom Tisch. Er glaube nicht an weit zurückliegende Ursachen, sondern nur an die naheliegenden. Und die nahe Ursache einer Schwangerschaft oder eben einer ausbleibenden Schwangerschaft sei die Ehe und, wenn er es frank und frei formulieren dürfe, der Koitus. Nun, um herauszubekommen, wie diese Ehe funktioniere - oder nicht funktioniere -, und um Abhilfe zu schaffen, müsse er mit der Frau persönlich sprechen. Es ginge darum zu erfahren, ob der Gatte seine ehelichen Pflichten erfülle. Und die Frau ihre eigenen.
Ich bereute es, ihn um sein Urteil gebeten zu haben. Ich verstummte und hoffte, die Stille würde wieder Abstand zwischen uns herstellen. Ich konzentrierte mich auf die Hände - eine heikle Sache, da die des Professors unförmig und dick wie Würste waren. Hätte ich sie so gemalt, wie ich sie sah, hätten mich alle für schlampig gehalten. Die Natur ist unvollkommen, aber die Kunst vollendet sie - doch zuweilen verfälscht sie sie auch. Die Wirklichkeit entbehrt jeglicher Schönheit, Herr. Ist es tatsächlich unsere Aufgabe, sie zu idealisieren und so erträglich zu machen?
Aber der Professor langweilte sich und war überglücklich, eine Ablenkung gefunden zu haben.«Ich erzähle Euch einmal von einer wahren Begebenheit, Maestro», hob er an.«Vor vielen Jahren musste ich eine Frau behandeln, die nicht schwanger wurde. Da sie vollkommen normal gebaut war und von ihrem ersten Gemahl ein Mädchen empfangen hatte, fragte ich mich mit höchster Behutsamkeit nach der Häufigkeit ihres Verkehrs mit dem zweiten Gatten. Sie sagte, sie könne sich nicht beklagen, da dieser sich jede Nacht an ihr vergehe. Später aber erläuterte sie mir, dass er von hinten mit ihr verkehre. Da war es doch recht unwahrscheinlich, dass sie so empfing, nicht wahr?»
Herr, Ärzte sind wie Priester. Sie kennen unsere schmachvollsten Geheimnisse und schauen ohne Gnade und Barmherzigkeit auf unseren Körper. Aber auch Maler vermögen so zu
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