Tintorettos Engel
Nachmittag im Juni, als die vier Japaner gerade gingen und Don Mantio sie fragte:«Signora, Ihr, die Ihr Portraits anderer malt, habt Ihr keine Angst, in Vergessenheit zu geraten?»
Zum Abschied der japanischen Botschafter gaben die Senatoren ein Festmahl. Auch ein paar berühmte Venezianer waren eingeladen: ruhmreiche Admiräle, Priester, Dichter, Komponisten, der Patriarch und der Kapellmeister von San Marco. Mein Freund, der fast hundertjährige Doge Nicolò da Ponte, der zwar seit einem Schlaganfall stumm, aber noch geistig rege war, hatte auch auf meinen Namen gezeigt. Wir speisten am frühen Abend mitten im Meer auf einem von Fackeln beleuchteten Schiff. Die Kerzenflammen, das Geschirr und der Wein in den Gläsern wankten im Rhythmus der Wellen. Auch die Musik der Sänger wankte hin und her, da ihr Floß langsam unser Boot umkreiste und ihre Stimmen mal von nah, mal von fern zu uns herüberklangen, wie ein schwaches, mit der Brandung vermischtes Rauschen. Zu Ehren der vier jungen Männer waren wir von den Oberen angehalten, uns festlich zu kleiden, lege man doch im Morgenland großen Wert auf das äußere Erscheinungsbild. Marietta trug ein blaues Seidenkleid mit goldenen Intarsien. Es hatte einen tiefen Ausschnitt und teilte sich über der Brust in zwei Zipfel, die sich wie eine zweite Haut auf sie legten und die rosaroten Spitzen ihrer Brüste durchscheinen ließen. Wie alle Ausländer und Besucher der Stadt würdigten die Botschafter gleichsam verblüfft die venezianische Mode, die so verschwenderisch mit den weiblichen Reizen prahlte. Auch ich schätzte sie. Die Farbe stand Marietta äußerst gut, seit Langem hatte sie nicht mehr so strahlend schön ausgesehen.
Auch das Essen kam aus dem Meer: Von winzigen Ruderbooten aus sammelten die Kellner die Servierteller ein. Alles, was unser Meer hervorbrachte, war für die Gesandten zubereitet worden. Und alles schmeckte nach Meer: der Wind, der Fisch, wir selbst.
Während die beiden Prinzen von den Senatoren in Beschlag genommen wurden, saßen die vier Botschafter uns gegenüber. Nakaura beugte sich auf einmal zu Marietta hinüber und fragte sie, ob er ihr Haar anfassen dürfe. Überrascht willigte Marietta ein, und der Junge löste einen Zopf. In seinem Land gebe es keine einzige Frau mit blonden Haaren. Im Reich der Ficenga werde blondes Haar eigentlich nicht als ein Zeichen von Schönheit angesehen. Er aber habe seine Meinung diese Nacht geändert. Wissen sei alles, Unwissenheit führe ins Dunkle, in die Irre - sei das Übel.
«Was hat Euch an Venedig am meisten beeindruckt?», unterbrach ihn Marietta.«Die Gefängnisse», antwortete der junge Japaner prompt.«Wir kennen keine Gefängnisse. Für Schuldige gibt es bei uns die Verbannung oder den Tod.»«Aber Verbannung bedeutet Vergessen und der Tod Befreiung», merkte meine Tochter an.«Die härteste Strafe ist das Gefängnis.»
Sie war erschüttert, Herr. Worüber Marietta und der junge Japaner anschließend sprachen, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich war ihre Unterhaltung beendet, da das Essen kurz darauf vorbei war und die Kellner Schälchen mit einer weißlichen Flüssigkeit sowie dünne Glasröhrchen austeilten und zur Belustigung der Gäste zu pusten begannen. Bezaubernde Seifenblasen - die im Licht der Fackeln rötlich schillerten - stiegen ringsum auf und schwebten durch die Luft. Sie nahmen die seltsamsten Formen an - Wolken, Rosen, Schmetterlinge. Einige trieben in der lauwarmen Luft über unseren Köpfen nach oben, andere blähten sich auf, bis sie platzten, wieder andere flogen wie ein Windhauch dicht an unseren Köpfen vorbei und tänzelnd zurück zur Lagune. Die jungen Japaner lachten verzückt. Marietta gelang es, mit einem Finger eine riesige Blase einzufangen und vor ihr Gesicht zu halten. Welt, mit deinen guten Gaben vermagst du Menschen zu blenden , sang sie, doch sind es nur Seifenblasen, die schön erscheinen und in nichts verenden . Diese Verse hatte ich ihr beigebracht, deren Verfasser Maffio Venier mein Freund
war. Marietta lächelte, obschon ich ein Kratzen vernahm - einen falschen Ton in ihrer Stimme. Vorsichtig pustend ließ Marietta die Seifenblase wieder auffliegen. Eine kurze Weile sahen wir zu, wie sie in der Luft schwebte und sich dann auflöste - in nichts. Auf einmal wurden die vier Gäste aufgefordert, in andere Boote umzusteigen: Ihnen stand noch ein nächtlicher Angelausflug bevor. Wir anderen würden zurückbleiben. Für uns war das Fest zu Ende.
Da fragte der
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