Tintorettos Engel
sie dem Dogen überbrachten. Was ich jedoch weiß, ist, welche Nachricht sie mir überbrachten.
Die aus dem so weit entfernten Land angereisten Prinzen und Botschafter genossen in der Stadt eine außergewöhnlich hohe Beachtung. Zwar traf man in Venedig auf Türken und Tscherkessen, Deutsche, Flamen und Engländer, Dänen, Spanier und Lusitaner, Armenier und Albaner, Slawonier, Kroaten, Bosnier, Morlaken und Tataren, Griechen, Polen, Ungarn, Perser, Berber, Inder, Mauren, schwarze Afrikaner und sogar Chinesen - aber Leute aus Ficenga hatte man hier noch nie gesehen. Unsere Staatsoberhäupter empfingen sie mit prunkvollem Tamtam und zeigten ihnen sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt - zurück in ihrer Heimat sollten sie von unserer Größe erzählen und unsere Verbündeten werden. Sie unternahmen mit ihnen eine Bootsfahrt auf dem Canal
Grande, veranstalteten sakrale Musikkonzerte, zeigten ihnen die Brennöfen von Murano, das Arsenal, die Heiligenreliquien, die Festungen und die Burgen am Lido. Wahre Menschenmassen belagerten den Palazzo der Gesellschaft Jesu, deren Gast sie waren, und scharten sich um ihre Fenster, sodass man aufpassen musste, nicht niedergetrampelt zu werden.
An die Namen der vier Botschafter kann ich mich noch gut erinnern: Don Mantio Ito, Don Michele Cingiva, Don Giuliano Nakaura und Don Martino Fara. Wir nannten sie die Barone. Dass es überall in der Stadt so viel Stein und so wenige Bäume, Pflanzen und Blumen gab, bedauerten sie. Die Paläste, Kirchen und Statuen beeindruckten sie hingegen sehr. Am letzten Tag führten unsere Machthaber sie zu mir. Die Republik wollte sie ihnen zu Ehren nach der Natur portraitieren lassen - alle vier, zum ewigen Andenken.
Während die Gesandten auf ihrer Reise immerzu abendländische Kleidung getragen hatten, kamen sie zu diesem Anlass im landestypischen Kostüm: weiße Pumphosen aus Seide, über der Schulter eine blaue Simarre, die mit einem dichten Miniaturwald aus Bäumen und Vögeln bestickt war, an der Hüfte einen Degen und einen fein gearbeiteten Dolch. Abgesehen von einem rabenschwarzen, mit einer Schleife zusammengebundenen Büschel auf dem Kopf, waren sie kahl rasiert, hatten schmale, schlitzförmige Augen und safrangelbe Haut. Vor dem Hauseingang auf den Fondamenta dei Mori wollten sich die vier jungen Männer die Schuhe ausziehen.«Das ist ihre Art, Euch ihre Ehre zu erweisen», erklärte der Jesuit in ihrer Begleitung. Dann forderte er mich auf, mich sofort hinzusetzen, da es bei den Bewohnern von Ficenga als unhöflich gelte, Gäste im Stehen zu empfangen.
Die gesamte Familie strömte ins Atelier: Dominico und Marco wollten als Meister der Malkunst vorgestellt werden, Giovanni spielte zu ihren Ehren eine eigene Komposition auf der Laute, Faustina lachte, weil die vier sie an Marionetten erinnerten, Marietta
hätte gern einmal die Seide ihrer Simarre angefasst, die fein wie Papier aussah, Ottavia und Laura stießen verzückt kurze Schreie aus, und Marco Augusta wollte ihnen eines seiner Schmuckstücke als Geschenk überreichen: Allen vieren hatte er einen goldenen Doppelring geschmiedet, in dem das Sternbild der Krone eingraviert war, das Würde und Wissen verleiht und mit dem sie die Gnade ihrer zwei Prinzen erwerben konnten. Mir gefiel am meisten, dass die Barone klein waren - so bekam ich wenigstens einmal die Möglichkeit, mit wichtigen Personen Auge in Auge zu sprechen.
Als Geschenk hatten sie uns ein Säckchen getrockneter Kräuter mitgebracht, die wir mit heißem Wasser mischen sollten. In ihrem Land war es das meistgeschätzte Getränk. Sie nannten es chai . Wir mochten es nicht. Es schmeckte nach Staub. An kalten Winterabenden goss sich Marietta trotzdem gern eine Tasse davon auf.«Es schmeckt nach allem, was ich nicht kenne», sagte sie,«und was ich nie kennenlernen werde. Es erinnert mich daran, wie viele Menschen es auf der Welt gibt, die anders sind als wir, Menschen jeglicher Hautfarbe, die an die merkwürdigsten Dinge glauben. Und ich habe immer gedacht, dass es außer Venedig nichts anderes gibt und die Welt dahinter aufhört.»
Eingehend betrachteten sich die Botschafter die Bilder meiner Galerie. Nach Aussage des Jesuiten wird im Reich der Ficenga nicht nach der Natur gemalt. Oder zumindest nicht auf unsere Art. Vor meinem sowie vor Faustinas und Dominicos Portraits hielten sie inne: Sie schauten sich erst unsere gemalten Gesichter, dann uns und dann wieder das Bild an und stellten Ähnlichkeiten und Unterschiede fest,
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