Tintorettos Engel
schönen Frauen würde es den Malern nie fehlen. In Wirklichkeit aber seien wir nicht das Objekt ihrer Begierde, sondern lediglich das Mittel, das sie berühmt mache. Wir seien ein Name, an den sie ihren anhängen würden. Wir seien der Traum, dass ihre Schönheit die Zeit überlebe. Dass es, nachdem sie all ihre Verehrer und Schätze verloren hätten - denn nur wenige unter ihnen seien in einem warmen Federbett aus dem Leben geschieden -, noch immer irgendwo auf der Welt ein Bild von ihnen gebe, in dem das fortwähren würde, was sie verloren hätten. Sie liebten nicht uns, sondern nur sich selbst.
«Bist du hier heraufgekommen, um mit mir über Liebe zu sprechen?», fragte Marietta überrascht. Ich druckste ein wenig herum, dass diese Frauen durchaus auf ihre Kosten kämen, wenn sie Marietta umwarben, während sie selbst nichts davon habe, mit ihnen zu verkehren. Außerdem sei es nun wahrhaftig nicht sonderlich angemessen, wenn sich eine achtenswerte und geachtete Frau wie sie mit so viel Sorge um das uneheliche Kind einer Hure kümmere.«Das sagst ausgerechnet du?», rief sie ungläubig.«Ich bin ein Mann, Marietta. Ein Maler kann ruhig maßlos sein und sich dem Genuss hingeben, eine Malerin aber ist und bleibt für ihre Anhänger eine Frau, und bereits ein Makel oder auch nur die Spur davon genügt, damit ihr Aufstieg in die Brüche geht. Das mag falsch sein, ist aber eine Gesetzmäßigkeit, die alle akzeptieren: Ein ausschweifendes Lotterleben bedeutet für einen Mann weder Laster noch Schande, aber bei Frauen ist das anders. Ist eine Frau erst einmal ins Gerede gekommen - egal, ob die Anschuldigungen wahr oder falsch sind -, so wird diese Frau auf ewig verschmäht werden. Seitdem du auf der Welt bist, versuche ich, jegliche Schande von dir fernzuhalten.»«Aber es spricht doch gar keiner schlecht über mich», entgegnete Marietta und sprang auf.«Ich bin eine ordentlich verheiratete Frau. Meine Bilder signiere
ich nicht, und niemand kennt mich. Mich gibt es eigentlich gar nicht.»
«Ich aber bin ein Mann, der in der Öffentlichkeit steht, Marietta», versuchte ich ihr zu erklären,«ich bin berühmt , alles, was ich mache, wird kommentiert. Man wird mich für jedes gemalte Bild, jede vollbrachte Tat und jedes Wort, das meinem Mund entfährt, beurteilen. An alles wird man sich erinnern, auch an das Unbedeutende. Vieles habe ich falsch gemacht, und auf ewig werden mir meine jugendlichen Fehler wie ein Schatten nachlaufen. Aber mein ganzes Leben habe ich dafür eingesetzt, ein guter Christ, ein guter Ehemann, ein guter Vater und ein Maler zu werden, dem es gebührt, Gott zu malen, verstehst du?»
«Was interessiert mich dein Denkmal, das du dir und obendrein noch mir errichtet hast», fiel Marietta mir ins Wort.«Es ist eine große Lüge. Du bist derselbe Mann wie noch vor fünfzig Jahren, derselbe Freibeuter, Räuber, Liebhaber, Schwindler und zusätzlich ein guter Christ, Ehemann und Vater, und du hast es verdient, Gott abbilden zu dürfen. Darin liegt weder ein Widerspruch noch eine Schande, noch die Wahrheit. Nur wirklich große Männer haben den Mut zur Wahrheit. Und ich dachte immer, du seiest einer.»
Mariettas Worte trafen mich tief. So durfte man mit mir nicht mehr reden. Niemand.«Du bist mir zu Gehorsam, Dankbarkeit und Achtung verpflichtet, noch mehr als deine Brüder», fuhr ich sie an.«Das Denkmal , das ich mir aufgebaut habe, habe ich auch für dich hochgezogen. Was wärst du schon ohne das, was du Lüge nennst?»«Ich achte dich mehr als mich selbst», entgegnete sie aufgebracht.«Als Mann, weil du mein Vater bist, als Maler, weil du mein Meister bist. Ich bin dir für jeden einzelnen Tag dankbar, den ich an deiner Seite leben durfte. Wie soll ich es dir sonst beweisen als damit, die Menschen so anzusehen, wie du sie ansiehst, sie so zu lieben, wie du sie liebst und sie so zu malen, wie du sie malen würdest, wie du es mich gelehrt hast.»
«Marietta», sagte ich streng und bemüht, die Kontrolle über unser Gespräch wiederzuerlangen,«die Brillenmacherin und ihre Freundinnen haben es auf niederträchtige Art nur auf deine Position abgesehen. Sie ziehen ihre Vorteile daraus, dass du meine Tochter bist. Sie benutzen deinen Namen - also meinen - wie einen willkommenen Zusatzgewinn. Mit einem solchen Vater werden die Leute immer von deiner Position profitieren: Jetzt aber missbrauchst du dich selbst. Du ziehst Nutzen daraus, meine Tochter zu sein. Du verspielst deinen Namen wie einen Gewinn.
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